Sortieren nach:

Gedichte zur Geburt - Seite 32


Anzeige


Novecento

* Neunzehnhundert *

Er wurde gefunden vom Maschinisten
im Ballsaal, auf dem Klavier.
Nackt in einer der Lemonkisten;
still, namenlos, ohne Papier.

Die Matrosen nannten den kleinen Mann
Novecento, so wie das Jahrhundert.
Als er allmählich zu wachsen begann,
staunten die Männer verwundert.

Das Kind lauschte den Passagieren gespannt,
um viel von der Welt zu erfahren -
und eines Tags kannte es jedes Land,
in dem nur die anderen waren.

Irgendwann sah es der Käptn als Pflicht,
den Kleinen formell zu erfassen.
Novecento erschrak; er wollte das nicht-
verschwand, sich nicht finden zu lassen.

Nach Wochen dachte man, er sei ertrunken;
doch als die Virginian bei Irland lief aus
hat ihn ein Bootsmann im Tanzsaal gefunden.
Der Junge bot kunstvollen Ohrenschmaus.

Er saß am Klavier mit baumelnden Beinen.
Artistisch ließ er die Hände fliegen.
Die Menschen begannen vor Rührung zu weinen
und alle im Ballsaal staunten und schwiegen.

Er hatte sich diese Kunst beigebracht -
dem Spiel gelauscht, das ihm ins Dunkel klang.
Im Verborgenen bis in die Nacht sich erdacht,
was ihm an Musik in die Sinne drang.

Novecento wurde dann weltweit bekannt
als der Pianist, der nie Land gesehn.
Mit dreißig entschloß er sich kurzerhand
von Bord und nur einmal ins Meer zu gehn.

Unsicher tapsend trat er zurück;
grummelte seinen Lieblingsspruch:
"Ich lass es sein. In den Arsch damit"
und ließ es bei diesem Versuch.

Das Ozeanschiff war ihm Heimat und Glück.
Erfüllt war er vom virtuosen Spiel.
Die Seereisen Alt- Neuwelt hin und zurück
das war das Leben, das ihm gefiel.

*

Sein Ende?

Im Schiff, auf der Kiste, da stand: DYNAMIT!
Er lächelte nur..."In den Arsch damit!"


(C) Ingrid Bezold
... hier klicken um den ganzen Text anzuzeigen


Anzeige