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Gedichte über Schwäche - Seite 11


Der Februar

….Zwölf Monate umfasst das Jahr;
der zweite ist der Februar,
gelegen in der Jahreszeit,
wo´s mehr als vorher friert und schneit.
Wird manchmal auch der Winter strenger,
die Tage werden wieder länger.
Wer morgens aus dem Schlaf erwacht,
tut´s nicht mehr mitten in der Nacht,
weil ab und zu am Horizont
ein Wölkchen, rosarot besonnt,
geheimnisvoll und unbegründet
den Anfang eines Tags verkündet.
….Nun kommt, - wie soll es anders sein? –
auch hier ein Unglück nicht allein.
Gefräßig-gierig lauert schon
im Hinterhalt die Depression,
die keinen, der im Norden wohnt,
im Monat Februar verschont,
die bohrt und plagt und piekst und quält,
obwohl´s nach außen an nichts fehlt.
Dergleichen macht den Stärksten mürbe
so sehr, dass er am liebsten stürbe,
wenn Suizid nur nicht so schwer
und risikobehaftet wär.
….Sobald die Sonne höher steigt
und Licht sich überall verzweigt,
dringt damit zwar ein Hoffnungsschein
ins winterkalte Herz hinein.
Licht lindert nämlich die Misere, -
Wenn da nicht noch das andre wäre,
das Öde, Triste, Totenblasse,
das Langweilige, Graue, Nasse,
das Oberflächliche, Banale,
Verschwommene, Stupide, Fahle,
das vor dem Fenster unverhohlen
umherschwirrt wie ein Schwarm von Dohlen.
….Wer aus dem Bett durchs Fenster schaut,
hüllt sich sofort in Gänsehaut,
und auch sein Innerstes erstarrt
beim Anblick dieser Gegenwart,
so dass er sich erneut einrollte,
wenn er nur könnte, wie er wollte.
Doch leider, ach, er kann es nicht,
unüberhörbar ruft die Pflicht,
und nur die wenigsten der Pflichten
kann einer ja im Bett verrichten.
Meist muss er dazu aus dem Haus,
das heißt, auch aus dem Bett hinaus.
….Er schnäuzt mit einem stillen Fluch
Zähschleimiges ins Taschentuch,
schlüpft in die sonst bedeutungslosen
schafwollnen langen Unterhosen;
schluckt reichlich Vitamintabletten,
die, hofft er, vor Erkältung retten;
beschließt, es sei ein Schnaps vonnöten,
um die Bazillen abzutöten,
und lutscht zu seiner Kehle Wohl
kaugummiartiges Menthol.
Er fasst den mutigen Beschluss
zu tragen, was er tragen muss.
Da Klagen sowieso nichts nützen
und vor dem Wetter nicht beschützen,
erscheint es klüger, ohne Klagen
das Unvermeidliche zu tragen,
wozu, auch wenn es noch so stört,
der Monat Februar gehört.
….Doch wer von so viel Grau umgeben,
sehnt sich nach Farbe, Duft und Leben,
nach Vogelzwitschern, grünen Wiesen,
exotisch-fernen Paradiesen,
Begeisterung, Unendlichkeit,
nach einem Aufbruch der befreit.
….Noch tut sich nichts, er wird nicht froh,
die Welt als solche ist nicht so.
Nein, diese Gegenwart ist wahrlich
nichts anderes als februarlich.
Da hilft nicht zornig sein, nicht toben;
nichts, gar nichts hilft mehr … siehe oben.
….Doch leider, noch ist Februar.
Es ist so, wie es immer war:
Apathisch, trostlos, trist und fahl,
genau genommen stinknormal,
normaler Frust, normaler Schmerz.
O komm doch endlich, lieber März,
und komm, für alle deine Fans,
auch du recht bald, geliebter Lenz.
Silesio
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Du? Andere?

….Der Zeitgenosse hier und jetzt
fühlt sich nervös und abgehetzt,
erschöpft, am Ende seiner Kraft,
KO, gereizt und abgeschlafft,
erledigt, fertig, aufgeschmissen,
kaputt und innerlich zerrissen,
gelähmt, zerschlagen, down, am Rand,
halbtot, bankrott und abgespannt,
ohnmächtig, müde, lahm, verdrossen,
zu kurz gekommen, unentschlossen,
durch Zäune aller Art gehemmt,
von Widerständen eingeklemmt,
entkräftet, hilflos und gebrechlich.
Kurzum: Er leidet unaussprechlich.
….Er geht zum Arzt. Nach dessen Willen
schluckt er nach jeder Mahlzeit Pillen.
Bevor er abends geht zu Bette,
schluckt er noch eine Schlaftablette
und, weil er dann noch immer wacht,
die letzte kurz vor Mitternacht.
Um morgens wieder aufzuwachen,
gießt er sich Kaffee in den Rachen
und putscht den matten Blutkreislauf
mit Koffeinkonserven auf.
Doch fühlt er sich erst richtig wohl,
trinkt er ein Gläschen Alkohol.
..Er schätzt Bewegung, Schwimmen, Wandern,
doch überlässt er es den andern,
sitzt fest im Auto und Büro
und zwischendurch auch anderswo,
obwohl durch endogene Stauung
er Mühe hat mit der Verdauung.
….Auch dafür, anders als sein Vater,
sucht Hilfe er beim Psychiater,
der in der Seele, die rumort,
hartnäckig in die Tiefe bohrt
und ihm darauf, auf seine Art,
Geheimnisvolles offenbart.
….Mit täglicher Gymnastik treibt er,
weil immer schwerer und beleibter,
den Kummerspeck von seinen Knochen.
Doch was er abnahm in drei Wochen,
das nimmt er unbemerkt im Nu
in knapp drei Tagen wieder zu.
Statt dreißig Zigaretten raucht
er zwanzig, weil er die ja braucht,
schwärmt für Produkte der Natur,
macht in Bad Füssing jährlich Kur,
lutscht Minerale, Vitamine,
isst Müsli, Joghurt, Margarine,
Rohrzucker, Obst und Sauerkraut,
das er mit sehr viel Speichel kaut.
Dazwischen ein Reformhaustrank.
Trotzalledem fühlt er sich krank,
was er, weil´s ihn so furchtbar quält,
ausführlich jedermann erzählt.
….Man fragt sich da mit gutem Grund:
Wer ist denn überhaupt gesund?
Was ist gesund, und was ist krank?
Was alt, was jung? Was dick, was schlank?
Wer bildet Krankheit sich nur ein?
Wer macht sich vor, gesund zu sein?
….Kein Leser muss erschreckt erblassen.
Es bleibt ihm selber überlassen,
ob er sich krank fühlt oder nicht,
ob´s ihm an Medizin gebricht,
ob er die Ärzteschaft befragt,
beziehungsweise sich versagt;
wie weit er, was sich auf ihn legt,
gern oder nicht so gern erträgt,
ob er sich gar nur glücklich fühlt,
wenn er in seinem Unglück wühlt,
so dass er dieWehwehchen braucht,
als ob er Zigaretten raucht.
Trotz höchstem Nikotingehalt
Wird er dann hundert Jahre alt,
und mancher Depressive scheidet,
obgleich er doch so schrecklich leidet,
den Depressionen hingegeben,
auch erst mit hundert aus dem Leben.


Silesio
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