Gedichte über das Sehen - Seite 17

Die alten Menschen
Sitzen am langen Tisch
Gertrud kann nicht mehr sprechen
Walter auch nicht
Gertrud kann noch gut sehen
Walter auch

Die alten Menschen
Sitzen den ganzen Tag
Am rechteckigen Tisch
Manchmal werden sie
Nach draussen gebracht
Und wieder zurück

Gertrud sitzt lieber am Tisch
Als an der frischen Luft
So auch Walter
Da sieht er Gertrud
Manchmal lächelt er
Manchmal lächelt sie

Die alten Menschen
Gehen früh zu Bett
Jeder in sein Zimmer
Jeder für sich allein
Nur Gertrud und Walter
Bleiben noch lange wach

Irgendwann im November
Fehlt ein Gedeck auf dem Tisch
Gertrud sitzt da und denkt
Wo bleibt denn nur Walter
Doch Walter kommt nicht mehr
Gertrud schläft nicht gut

Drei Tage später
Liegt ein neues Gedeck
Auf dem langen Tisch
Regungslose Gesichter
Pirmin heisst der Neue
Starrt unentwegt Gertrud an


© René Oberholzer

Sag ich denn da
Gott sei Dank,
oder ist das alles
einfach nur krank?

Man lässt es oft
ganz mächtig schleifen.
Sein Schäfchen im Trocknen,
geht man halt über Leichen.

Moral wird dabei lax
mit Füßen getreten.
Beim Papst gehen sie
gern beichten und beten.

So wird die Gesellschaft
und unsere Erde zerstört.
Ich finde das saublöde
und voll krass unerhört.

(c) Ernestine Freifrau von Mollwitz


mageba

Am Waldrand
ist der Übergang
zwischen den Welten.
Das liegt am Licht -
es rieselt sanft
durch Blätter,
schmiegt sich
an die Baumrinde.
Es tanzt,
es singt ein Lied
aus alten Zeiten,
aus weiten Auen
vom Rand des Alls,
aus dem Wiesengras
vom Seeufer.
Licht
ist explodiert
im Wind -
millionen Brillanten
auf dem Wasser.
Es strahlt
in Blumenkelchen
wie ein Lebenstrank.

© Lena Engelbrecht