Gedichte über das Alter - Seite 232

Manchmal habe ich das Gefühl,
dass mein ganzes gelebte Leben,
aber auch das Leben
das ich nicht gelebt
oder verpasst habe,
über mich hineinstürzt
und mich unter sich vergräbt

Dinge,
an denen ich (zu) lange
festgehalten habe,
aus Angst
keine Alternative zu haben,
wurden immer schwerer,
bis das Gewicht
sie mir aus den Händen
gerissen haben.

Verpasste Gelegenheiten
flogen um mich herum,
sahen mich mitleidig an
weil sie wussten,
dass es zu spät ist,
um sie noch zu ergreifen.

Nun liege ich hier
unter den Trümmern meines Lebens
und versuche aus den Resten
an Erfahrungen und Möglichkeiten,
die mir noch geblieben sind,
meine Zukunft zu gestalten.

© Michael Jörchel

-1-
Rosalie ist in die Jahre gekommen,
will wissen, wie es sich anfühlt beim Küssen
hat im Alter keinen Mann abbekommen,
doch Liebe will sie nicht länger mehr missen,
-2-
Sie stylt sich, trägt Make-up und Lippenstift auf,
zwängt Füße in Pumps, ihr Seidenkleid sich bauscht,
Krücke ist veredelt mit 'nem Silberknauf,
auf einer Sitzbank hält sie Ausschau und lauscht.
-3-
Rosalie schaut sich nach alten Männern um,
die ihrem jetzigen Geschmack entsprechen,
ihr Geist soll rege sein, der Rücken nicht krumm,
sie wünscht sich, dass einige sie ansprechen.
-4-
Es dauert gar nicht lange, da kommt ein Mann,
setzt sich zu ihr auf die Bank, und rückt näher
über ihn sie sich nicht echauffieren kann,
er zeigt sich interessiert, ist kein Späher.
-5-
Hochbetagter Mann ist rüstig und charmant,
auf ihr Flirten lässt er sich liebend gern ein,
er ist ein Siegertyp, war früher Leutnant,
folgt ihr erwartungsvoll in ihr Kämmerlein.

Welch ein Glück!

Ein fröhliches Leben zu haben,
In dem sich leidlich widerspiegelt,
Was möglich an Glückseligkeit,
Mit der man sich befindet in Vorhaben,
Bei denen man sich nicht eingeigelt,
Aufgestanden in voller Geistfreiheit,

Um von eigenen Kindern zu wissen,
Wahrnehmend auch die Enkelschar,
Dadurch gesund im Tagwerk stehen,
Das Daseinsglück nichts vermissen,
Vertraut mit Musen, die wunderbar,
Wo täglich Strahlen aufgehen,

Das ist mein erfülltes Leben.
Doch ohne alle, ohne Euch?
Ich müsste bis heute darben!
Ihr habt mir Freude gegeben,
Mich besucht, allzeit liebreich,
Erhellt mein Leben mit Farben.

©Hans Hartmut Karg
2025

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Was nicht der Rede wert

Am Monitor werden Säulenmonogramme gezeigt,
So oft, dass man schließlich selbst glaubt,
Alles sei bunt und ehrlich. Man ist nicht abgeneigt,
Obwohl dies vielleicht Lebenszeit raubt.

Man wird vom Anblick überzeugt –
Wenn man auch verärgert ein wenig schnaubt
Und so mancher Kopf sich zur Lehne neigt:
Habe ich mir das denn wirklich erlaubt?

Was nicht der Rede wert, das bezeugt,
Wie tatsächlich Lebenszeit geraubt
Hier denen, die vom Alter gebeugt
Sehen, was nicht mehr geglaubt.

©Hans Hartmut Karg
2025

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Wenn die Nebel

Wenn die Nebel sich verflüchtigt haben,
Gerät uns der suchende Blick klarer,
Bilden sich Entscheidungen heraus:
Man entdeckt wertbeständige Gaben,
Welche früher verdeckt oder rarer
Noch schlummerten im Stirnhinterhaus.

Mit den Jahren wachsen Gewissheiten,
Verstärkt durch erfahrenere Weisheit
Mit dem Überschauen der Horizonte
Und auch mit den Altersfreiheiten.
So wächst uns zu die Besonnenheit,
Der immer schon das Mögliche innewohnte.


©Hans Hartmut Karg
2025

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