Gedichte über das Alter - Seite 156

wir spüren
die quelle des lebens
beim erwachen des frühlings
bei der geburt eines kindes
an neuen ufern der liebe
doch viel zu schnell
erwachen wir
mitten im
herbst

versuchen
die wiederholung
mit der melancholie
ungelebter jahre
während letzte
sandkörner
der zeit
rieseln


 

Wie der Wein so mit den Jahren
gewinnt der Mensch an Reife und Erfahrung.
Wenn jung er ist und spritzig,
ist "homo sapiens" voll Tatendrang und hitzig.

Doch dauert es sehr lange Zeit
bis Mensch und Rebe sind soweit.
Um ein Bouquet zu entfachen,
muß man den Werdegang überwachen.

Bei Manchen ist es die Süße des Weines,
bei Anderen gilt Herbes als was Feines.
Charakter sollte er jedenfalls haben -
und Aromen, der Reben beste Gaben.

Genüßlich soll der Gaumen ihn schmecken,
damit weitere Vorzüge er kann entdecken.
Gülden wie die Sonne soll er erstrahlen im Glase
und blumig seine Düfte verströmen in die Nase.

Erst wenn diese Prozesse vonstatten
und wir Gärung und Ruhezeit hatten,
erst dann kann man erahnen,
ob Rebe, ob Mensch in den richtigen Bahnen.

Ist es ein Schaumwein oder gar ein Grand-Cru?
Ohne probieren weiß man es nie.
Vielleicht ist er würzig, lieblich oder trocken?
Aber kann nicht ein jeder auf seine Weise verlocken?

Und so die Gedanken betrachtet in aller Kürze,
zählt im Leben wie beim Wein - der Charakter und die Würze!

05.06.2017GiselaDanisman

Die Wohnung ist nun meine Welt.
Was ist nur aus mir geworden?
Ich fühle mich hier eingesperrt,
allein mit meinen Sorgen.

Damals war es wunderbar,
da war ich sehr begehrt.
Doch heute, krank und unbrauchbar
bin ich nichts mehr wert.

Man lud mich ein um Spaß zu haben.
Ich half stets in großer Not.
Doch heute stell‘ ich mir die Frage.
Wo sind sie hin? Da jetzt mein Ende droht.

Habt keine Zeit mich zu besuchen
und wenn, dann nur aus Plicht.
Schaut auf die Uhr, schlingt euren Kuchen.
Nein, solch‘ Besuch den will ich nicht.

Mit mir ist nichts mehr anzufangen.
Könnt meinen Anblick nicht ansehen
meinen Verfall und auch mein Bangen
ist auch wirklich nicht sehr schön.

So warte ich weiter, meist vergebens,
auf einen Besuch, ein nettes Wort.
Doch jetzt am Ende meines Lebens.
bin ich allein an diesem Ort.

Ich stell mir vor, sie stehen am Grabe,
natürlich nur aus Pflichtgefühl,
es werden sich dann alle sagen,
er bedeutete mir viel.

„Er war so nett, war immer da,
war für alle stets bereit.“
Doch als mein Ende schon ganz nah‘
hatte niemand für mich Zeit.



© Michael Jörchel