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Gedichte über Gefühle - Seite 1184


Tränenarm

Ich fühle mich tränenarm
und bin innerlich tränenreich,
das fühlt sich nach dieser schlimmen Trennung
doppelt schmerzhaft an.
Tränenarm, tränenreich,
ich wünsche mir ein Tränenreich,
wünsche mich tränenreich,
einmal mehr
wünschte ich,
meine Tränen würden einfach fließen,
Zeugen stillen Schmerzes,
die meinen Augen entweichen.
Doch es geht nicht,
zu sehr funktionieren meine
Trauerunterdrückungsmechanismen.
Sie haben schon immer wunderbar funktioniert –
nahezu perfekt.
Etwas, was mir zusätzlich weh tut.

Warum kann ich nicht einfach losheulen?
Grund genug habe ich.
Nur habe ich keine Tränen –– mehr?
Habe ich jemals welche gehabt?
Und wenn ja, wie viele waren es?
Ergaben sie eine Tränenpfütze
oder einen kleinen Tränensee,
oder gar ein Tränenmeer?
Ein Tränenmeer – oder weniger?
Ich weiß es nicht.
Ich weiß nur:
Ich habe keine Tränen mehr
und wünsche mir doch so sehr ein Tränenmeer.
Es tut so gut, zu weinen,
einfach allen Schmerz loszulassen,
zu verabschieden
in diesen kleinen traurigen Tropfen.
Sie sind für mich so kostbar
und leider auch so selten.
Manchmal weine ich hemmungslos
in meinen Träumen.
Das tut gut und fühlt sich unendlich gut an.
Geträumte Tränen perlen von meiner Wange herab –
kleine Tränenperlen, die in ein Meer perlen,
ein Tränenmeer meines Schmerzes,
den ich fühle und erlebe.

Ich finde es traurig,
dass meine Trauer so wenig Platz hat.
Wenn ich weine, fühle ich mich
schwach und stark zugleich
und bin doch so verletzlich,
sehne mich nach Armen,
die mich umarmen und halten,
nach einer Brust,
die mich nährt,
nach einem Schoß,
der mich schützt,
in den ich meinen Kopf legen kann,
um mich auszuheulen und Trost zu finden.
Manchmal wünschte ich,
ich könnte durch meine
eigenen Tränenmeere tauchen –
Salzwasser ganz nach meinem Geschmack.

Ich glaube, mein Vater hat viel dafür getan,
dass sich in meinen Augenwinkeln
sehr starke Schleusenwärter postiert haben.
Und sie tun ihren Dienst noch immer,
sind immer noch da.
Nur selten gelingt es mir,
sie zu vertreiben, damit einige wenige
Perlentropfen entweichen können.
So selten sie auch sind,
so kostbar sind sie aber auch.
Und jedes Mal bin ich froh und glücklich,
sie verabschiedet zu haben.

Vielleicht muss ich ein wenig Abschied nehmen
von der Vorstellung,
ich könnte häufiger Sturzbäche weinen
oder Rotz und Wasser heulen.
So schön und befreiend dieser Gedanke auch ist,
so wenig wirklich erscheint er mir –
auch etwas,
was mich wieder etwas traurig macht.
Vielleicht schließt sich hier
mein Kreis der Trauer,
mein Trauerkreis,
in den ich nur selten einsteigen kann.
Und wenn es dann doch gelingt,
dann ist das etwas,
was mich hinterher ungeheuer glücklich macht!
Auch auf diese Art und Weise liegen wohl
Glück und Traurigkeit oft dicht beieinander,
dichter, als wir meistens zu träumen wagen.


ls281207
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Wo ist meine Wut?

Manchmal, da frage ich mich,
wo meine Wut steckt.
Im Himmel?
In der Hölle?
Auf Erden?
In mir?
Ich habe genug Gründe,
um wütend zu sein.
Mein Vater hat mich gedemütigt
und meinen Körper
und meine Seele gequält,
verletzt, zerschunden,
wie kein anderer Mensch nach ihm.
Zahllose Menschen haben mich
beleidigt, ausgelacht, nachgeäfft,
mich wegen meiner Andersartigkeit
diskriminiert und ebenfalls verletzt
und tiefe Wunden gerissen.
Und ich?
Ich bin immer noch bereit,
alles zu entschuldigen,
zu verharmlosen, abzuwiegeln,
zu verzeihen, zu vergessen
mit meiner Intelligenz,
meinem Intellekt,
meiner Reflektionsfähigkeit,
meiner Gutmütigkeit
und Angepasstheit…

Wo ist meine Wut?
Ja, Du, Wut, wo bist Du?
Ich suche Dich und finde Dich nicht!
Such Dich – vergeblich!
Suche Dich wie ein kleines Kind.
Und ich weiß:
Du steckst in mir,
in meinem Körper,
ich muss Dich in mir suchen,
in dem kleinen verletzten Kind,
dem kleinen verletzten Lothar,
der all die Wut und den Zorn,
der ihn damals überflutete,
gut weggepackt hat,
weggepackt und versteckt hat,
damit diese Gefühle ja nie wieder
an die Oberfläche dringen,
sich ihren Weg bahnen,
jemanden zerstören.
Jetzt zerstören sie allerdings mich,
machen mich depressiv und krank,
bereiten mir Kopfschmerzen.

Wo ist meine Wut?
Die Wut, die mich überrollt,
übermannt hat, musste weg,
durfte nicht da sein,
und ich musste sie in
wilde und kranke Tics kanalisieren,
damit alle sagen konnten:
Der Junge ist krank und behindert,
anstatt sich fragen zu müssen:
Was macht ihn bloß so wütend?
Tarnung ist alles,
besonders für verbotene Gefühle!

Wo ist meine Wut?
Wo ist der kleine wütende Lothar
bloß geblieben?
Ich vermisse Dich.
Es macht mich traurig, zu sehen,
wie wenig Du auch heute noch
leben darfst,
nach all diesen Jahren.
Immer mehr…


ls140510
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