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Gedichte über Freude - Seite 97


Lothar hat Zahnweh

Lothar quält der Backenzahn
und das jetzt schon seit Wochen.
So langsam treibt´s ihn in den Wahn,
das Ziehen und das Pochen.

Den Zahnarzt konnte er nie leiden.
Der ist ja auch brutal.
Lässt sich wohl trotzdem nicht vermeiden,
daß der da ran muß - wieder mal.

Na gut. Nur auf dem Weg dahin,
kriegt Lothar seltsam weiche Knie.
Mach voran!, kam ihm in den Sinn.
Und: Klappe auf. Zum Henker, zieh...!

So trabte er zur Folterstätte -
saß lange da, im Wartezimmer.
Neben ihm, die furchtbar Nette:
sie schwatzt von größerer OP;
von nigelnagel Neugebiss.
Alle Zahn-Ruinen raus - oh weh,
denkt Lothar und kriegt noch mehr Schiss.

Die Tür fliegt auf. Da steht der Henker
und grinst Lothar genüsslich an.
Nicht grad ein Bild von Blutdrucksenker...,
schwant es Lothar folglich dann.

Türe zu. Er ist gefangen
im Verlies der Barbarei -
starrt Tiegel, kleine, große Zangen
und Bohrer an, mit stummem Schrei.

> Adieu, du schöne, schnöde Welt, <
schnarrt Lothar schon mal vor sich hin.
Dann klappt sein Mund auf, wie bestellt
und der Doc fuhrwerkt darin.

> Aha! Da ist der Übeltäter!, <
freut sich der dicke Zahnmonteur.
> Den ziehn wir besser gleich, statt später!, <
bimmelt es Lothar im Gehör.

Im Mundgebälk ein kurzes Krachen.
Schon klirrt der Oschi in der Schale.
Ganz zaghaft: > Isser weg...? < Dann Lachen.
Und: > Nenn mir jeden Preis. Ich zahle! <

*

Der Doc roch schwer nach Schnapskantine:
das machte Lothar garnix aus.
Er herzte ihn mit froher Miene
und wackelte beglückt nach Haus.


(c) Ralph Bruse
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Liebes Tagebuch...

Liebes Tagebuch…

…lange ist es her, dass wir uns gesehen, geschweige etwas
auf deine Seiten geschrieben. Ganz unverhofft hab‘
ich dich nun entdeckt, auf dem Speicher zwischen alten
Büchern, in einem verschlissenen Karton.

Habe dir meine geheimsten Geheimisse anvertraut,
meine Träume, meine Gefühle; konnte dir meine
Sorgen erzählen, all meine Gedanken waren bei dir
stets gut aufgehoben. Blind konnte ich dir vertrauen,
meine geheimen Gedanken und Wünsche blieben bei
dir verborgen.

Gedanken, die der Wind über mich hinweggetragen,
Träume, die plötzlich gekommen in einem Moment,
in dem anderen schon wieder verflogen, es gibt kaum
eine Seite, die ich nicht vollgeschrieben.

Schaue dich mit Wehmut an, dein Gesicht ist nicht mehr
so farbenfroh und frisch, verblasst ist es in den vielen
vergangenen Tagen, die Seiten an den Ecken teils umgeknickt.
Himmel, wo hattest du dich nur versteckt?

Die vielen Jahre sind auch an mir nicht spurlos vorüber-
vergangen, habe viele Chancen verpasst, die falschen ergriffen.
Gab die Zeit mir auch Zeichen, hab‘ sie oftmals verkannt,
in Sekunden nur, war die Zeit mir davongeflogen.

Die Zeit, zärtliche Briefe an den Liebsten zu schreiben, ist nun
auch vorbei. Er hatte die allerschönsten, von mir je gesehenen
Augen, seine Hände sie sprachen Bände, so sinnlich, so zart.
Schrieb Zeilen, die ich ihm niemals zu lesen gab.

Da waren die Zeiten zu trauern, zu hoffen, mit Frohsinn in
die Zukunft zu schauen, die Liebe, sie kam und sie ging,
zu große Erwartung, am Ende waren zwei Liebende nur noch in
Schweigen und Lügen gehüllt. Ein trauriges Lied so alt wie die Welt.

Habe gelernt; das Leben braucht Mut. Was uns ausmacht,
ist nicht der Schein oder das, was man an Eigentum und
Gütern hat, es ist das, was man mit dem Herzen tut.
Teils war ich wie ein schwankend‘ Schiff, das auflief auf
ein raues Riff, suchte Halt, doch fand ihn nicht.

Liebes Tagebuch, heute schreib‘ ich dir mit zittriger Hand,
das Haar ergraut, fast schon weiß, bin welk einer gefallenen
Rose gleich, brüchig das Band, das mich noch am Leben hält.
Es sind wohl die letzten Zeilen, die ich schreibe, die ich dir
hier anvertraue, der Weg in die neue Welt ist nicht mehr weit.


29.06.2023 © Soso
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