Gedichte über Macht - Seite 36

War sie nicht

War sie nicht wie ein liebes Tier,
Das nah blieb, stets voller Verzücken?
Hatte sie immer das Gespür,
Ihr Gegenüber zu beglücken?

War einer lustig, wurde ihm
Das lächelnd in die Lust gerieben,
Dass er, ein Lustfraß, gar nicht schlimm
Sei zum Verweilen doch geblieben.

Sie spürte Macht, die niemals schwand,
Liebesteilung war höchste Hoheit:
Weil sie zur Minneherrschaft stand,
Kam sie mit Männern hin zur Einheit.

Dabei lebte sie kontrolliert
Mit Freuden, voller Leidenschaft,
Blieb lebenslang vernunftgeführt,
Nahm lieber sich damit in Haft.

So ging sie durch das pralle Leben,
Wenn sie die Männer zu sich holte,
Um mit ihnen ins Glück zu schweben,
Weil sie das niemals anders wollte.


©Hans Hartmut Karg
2021

*

geheimnis um deinen tod rankt
wie hundertjähriges dornengestrüpp
versteinerte zeit währt ewig
damit dein leben und dein tod
keine drängenden fragen stellt
dein leerer blick in niemand lebendig
geduldig schweigend
am zeitgitter der seele in der du zu hause warst
wartend darauf dass die letzte mauer
in sich zusammenfällt
und wahrheit und wahrheit
sich auge in auge gegenüber stellt -
dann kannst du gehn
und deine seele weiß
warum

geheimnis um dein leben davor
dein leben danach
noch wird es verwaltet
hinter trägen mauern von ämtern
und der höhnenden macht
des schäbig gekauften rechts
schweigen zu erzwingen
auszuschließen aus den räumen
in denen der letzte hauch deines lebens hing
eine mauer von ihrer würde beraubten
dich ehemals liebenden menschen
missbraucht für den letzten auftritt
der bis ins detail geplanten rache
an dem schmerz und der drängenden frage
‚warum?‘

geheimnis um deinen tod rankt
wie hundertjährige lüge
macht im vernichtenden blick
schweigen der gnadenlos gepressten lippen
als antwort auf alle fragen
dein leerer blick in meinem lebendig
geduldig schweigend
am zeitgitter der seele in der du zu hause warst
ein augenblick ist zeuge als die mauer
in sich zusammenfällt
und wahrheit und wahrheit
sich auge in auge gegenüber stellt -
ich drehe um und lasse dich gehen
und meine seele weiß
warum.

 
*an meinen Sohn Danjar