Gedichte über Liebe - Seite 1744

Ich schäle dir Mandarinen
abends spät bei mir im Zimmer
sorgfältig
reiche ich dir Stück für Stück
unsere klebrigen Finger
berühren sich

Und du erzählst
von zerstörerischen Liebesbeziehungen
und Suizidgedanken

Der Saft tropft mir
auf die Jogginghose
ich hänge an deinen Lippen
nehme dich in den Arm
wenn du kurz weinen musst
bin unbeholfen
fasziniert

Und reiche dir
noch ein Stück Mandarine
statt dir zu sagen
wie sehr ich dich mag

Rastlos
sitzt du da,
mit deinem Macbook Pro
und deiner Vielfahrer-Karte
in der DB-Lounge am Berliner Hauptbahnhof.

Planst die nächsten Geschichten
Über Syrien, Afghanistan, Uranabbau in der Mongolei,
planst die Weltrevolution
und dein Leben auf einem Segelschiff.

Zwischen Berufspendlern und Anzugträgern
ziehst du dir aus dem Automaten Milchkaffee,
der nicht vegan ist und nicht mal fair trade,
und redest von Steuererklärungen und Zeilenhonoraren
wie ein Profiweltverbesserer.

Aber dann grinst du mich an,
aus müden blauen Augen,
in deinem Kapuzenpulli
und sagst, manchmal wird dir alles zu viel.

Und dann bist du nicht mehr rastlos,
sondern ganz nah,
nimmst mich ganz lange in den Arm,
wie man das so macht, unter Freunden,
wenn eigentlich alle einsam sind.

Plötzlich tust du mir leid.
Und ich bewundere dich noch mehr.

Ich weiß nicht, ob ich schon mal
jemanden so angehimmelt habe,
weiß nicht, ob ich mir schon mal so sicher war,
jemanden nicht haben zu können.

Ich weiß nicht, ob ich schon mal
jemanden mehr wollte,
weiß nicht, ob mich schon mal
jemand so berührt, so geküsst hat.

Ich weiß nicht, ob ich schon mal
ein solches Erfolgserlebnis hatte,
weiß nicht, ob schon mal
eine Situation so ausweglos war.

Ich weiß nicht, ob mein Timing schon mal
im Kleinen so gut war
und im großen Ganzen so schlecht,
weiß nicht, ob ich schon mal
jemanden so sehr vermisst habe.

Ich weiß nicht, ob ich mir schon mal
so sicher war, eine Chance zu haben,
weiß nicht, ob ich schon mal
so bewusst eine Chance nicht genutzt habe.

Ich weiß nicht, ob ich mich schon mal
so gut, so schön, so attraktiv gefühlt habe,
weiß nicht, ob ich schon mal
so unsicher war, so traurig, so allein.