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Gedichte über Fantasie - Seite 338


In der Röhre

„Entschuldigen Sie, dass ich sie störe,
doch ich soll jetzt und hier in die Röhre.“
„Junger Mann, ich berichtige Sie,
das heißt Magnet-Resonanz-Tomografie.

Sie können sich schon in der Kabine regen
und alles sonst so Notwendige ablegen.
Gesundheitskarte, Überweisungsschein,
Handtuch und einige Angaben müssen sein.

Die Technik von Herzschrittmacher bis Uhr
behindert und gefährdet dabei nur,
genauso Brille, Schmuck und Hörgerät,
auch mancher Zahn, wenn auf Draht er steht.

Jetzt entkleiden sie sich bis zum Schlüpfer
und machen auf diese Liege einen Hüpfer.
Das Handtuch, das sie mitgebracht,
wärmt inzwischen ihre Pracht.

Sollte sich ihr Penis recken,
wird mein Lineal ihn schrecken.
Halten sie still den Körper und Kopf,
haben sie Angst, ist hier ein Knopf.

Die Liege wird jetzt 254-mal rucken,
sie brauchen nicht ängstlich zu gucken.
Wenn sie ruhig liegen bleiben,
werden wir sie in viele Scheiben schneiden.

Wir erstellen ein elektronisches Buch
als Nachweis von ihrem heutigen Besuch.
Doch erst einmal, schnell wie der Wind,
sagen sie mir wie schwer sie sind.

Haben sie schon einmal Mittel erhalten,
die den Kontrast stärker gestalten?
Alles andere auf dem Zettel genannt,
ist ihnen doch sicher nicht unbekannt.“

Jede Frage, die genannt,
bereits zeitsparend im Laufen entstand.
Endlich lag ich auf dem Brett,
zugedeckt und warm sehr nett.

Den Kopf im weichen Ring gebettet,
Kopfhörer haben mein Gehör gerettet.
Es ging los im schnellen Trab,
und hielt vor dem Ende knapp.

Ich dachte, das ist angenehm
und machte es mir sehr bequem.
Doch plötzlich mit Gebrumm und Kreischen,
mit Hämmern, Dröhnen, Schleifen

ging es vorwärts und zurück,
meistens nur ein kleines Stück.
Der Ton war laut und schwoll schnell an.
Jetzt kommt das Ende, dacht ich dann.

Und als der Krach sich nun gelegt
und das Brett sich nicht bewegt,
dachte ich wir sind im Hafen
und dabei bin ich eingeschlafen.

Im Halbschlaf musste ich erleben,
man kann auch noch Tempo geben.
Der Lärm schwoll an, ich war zu träge,
es klang als käme nun die Säge.

Ich sah in Gedanken mich in Scheiben,
dünner als des Befundes Schreiben.
Von fern ich schon den Himmel sah,
da klang es: „Aufstehen, wir sind da!“

12.07.2019 © Wolf-Rüdiger Guthmann
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Dichtergeheimnisse

Man fragte mich wie ich das mache,
Worte zu finden für jede Sache.
Die Damen und Herren meiner Generation
hatten nur Bücher und den Radioton.
Beim Lesen und beim Radio hören
durfte und wollte uns niemand stören.

Der eine freute sich, dass wir beschäftigt,
der andere hat den Wissensdurst bekräftigt.
Wir mussten jedenfalls tief in uns gehen,
um Buch oder Hörspiel zu verstehen.
Dieser Mangel gegenüber heutigen Zeiten
ließ uns vieles schriftlich aufbereiten.

Wir hatten Ideen und Fantasie,
für Arbeit und Gedicht braucht man sie.
Wir hätten gern schon eher gedichtet,
der Welt von Sorgen und Freuden berichtet.
Uns blieben jedoch kostenpflichtig stramm
nur Karte, Brief und Telegramm.

Als Soldat auf Birkenrinde gekritzelt,
hat das Dichten uns schon gekitzelt.
Erst der PC als Schreibmaschine eingestellt,
schuf das richtige poetische Arbeitsfeld.
Das Ergänzen, Kürzen und Radieren
geht nun elektrisch wie das Rasieren.

Geh ich Gassi täglich früh und spät
nutze ich das unmoderne Diktiergerät.
Wenn der Hund nach Mäuschen wühlt
und dabei sein Jagdfieber kühlt,
stehe ich zwar dort wie dumm,
aber niemals nutz- und sprachlos rum.

Früher ging‘s nur auf dem Land,
weil dort alles war bekannt.
Jeder jetzt per Handy berichtet,
aber niemand damit dichtet.
Sie essen, trinken, rauchen, lieben,
meist noch Fotos rüber schieben.

Die Jugend hat ihre eigene Sprache,
eine Kombi-Abkürz-Zeichen-Sache.
Damit fängt ein Satz meist an,
aber niemals dadurch enden kann.
Doch ein derartiges Sprecherleben
wird es bei mir niemals geben.

30.07.2019 ©Wolf-Rüdiger Guthmann
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