Gedichte Über Beziehungen - Seite 250

Ich fahr am Abend durch die Stadt,
die Straße glänzt, ist feucht und glatt.
Ein DDR-Musiker winkt mir zu,
ich halte – und nehme ihn mit im Nu.

Wir fahren Richtung Hotel Strauß,
die Stimmung ruhig, fast wie zu Haus.
Auf einem Parkplatz, still und leer,
reden wir – das wiegt umso mehr.

Er sagt, dass es ihm hier nicht gefällt,
dass Freiheit oft nur Fassade hält.
Ich sag: „Doch vieles ist hier frei“ –
Schon erscheint die Polizei –
plötzlich, grell im Blick,
ein Blaulichtstoß, ein harter Tritt.

Ein Test auf Alkohol wird Pflicht,
doch negativ – das freut mich schlicht.
Der Ton ist grob, ich spür Gefahr,
mein Unbehagen bleibt mir nah.

„Fahr weiter“, sagt der Mann im Licht,
„in der DDR gäb’s Verwahrungspflicht.“
Der Musiker kann nichts vorweisen,
kein Ausweis, nichts zum Nachweisen.

Ein Polizist begleitet ihn
zum Hotel – korrekt, doch kühl darin.
Ich fahr nach Haus, die Nacht ist still,
doch etwas bleibt, was nicht vergehen will.

Solche Begegnungen, hart und kalt,
machten Brüderland zum Gegenhalt.
Sie schürt Misstrauen, trennt erneut –
wo Nähe war, wird nun bereut.

Die Polizei tat, was sie muss,
doch Menschlichkeit kam nicht zum Schluss.
Freiheit bleibt unvollendet –
wenn Pflicht das Mitgefühl beendet.

Sie nennen dich Schatten, doch sie jagen dein Licht,
sie kommen bei Nacht und sie scheuen dein Gesicht.
Sie kaufen sich Wärme, sie kaufen sich Haut,
doch schämen sich später, als wär’s nicht erlaubt.

Du gibst, was sie suchen, im Flüstern, im Schweigen,
doch wirst wie ein Gut durch die Straßen getrieben.
Wie Fleisch ohne Namen, wie Ware, wie Staub –
ein Leben, das niemand im Tageslicht braucht.

Keiner fragt nach dem Morgen, nach dem Warum,
kein Blick in dein Herz, das ist schon lange stumm.
Sie sehen nur Stunden, Verlangen und Preis,
nicht die Tränen, die Kälte, das innere Eis.

Sie nennen dich Hure, ein Wort wie ein Stein,
doch du trägst Geschichten, verborgen, allein.
Ein Feuer, das brennt, hinter dem Vorhang und Glas,
zu wahr für die Stadt, die so tugendhaft war.

Denn dort, wo Moral im Schaufenster glüht,
wo jeder verurteilt, doch jeder auch zieht,
bist du die Wahrheit, die niemand bekennt –
zu nah, zu echt, bis sie schweigend verbrennt.

-Fiktion -

Ihre Gedanken springen
von Thema zu Thema,
ihr vorlautes Mundwerk
läuft auf vollen Touren.
Sie ereifert sich, spricht
am laufenden Band,
spult Belanglosigkeiten
in Dauerschleife ab.
Worte ergießen sich
wie ein Wasserfall aus
ihrem Mund, der so gut
wie nie stillsteht.
Ihr Redeschwall
überschwemmt ihre
Gesprächspartner,
spült mit Druck
Aufmerksamkeit
hinweg.

Mit ihren Gedanken
sind sie längst woanders.
Sie hat alle regelrecht
in die Flucht geschlagen
und wundert sich,
dass Menschen um sie
einen Bogen schlagen,
sobald sie in deren
Blickfeld gerät.

1000 Antennen
-Fiktion -

Sie ist empfindlich wie eine Mimose,
hat 1000 Antennen, mit denen sie
jedwede Gefühlsregungen
ihrer Mitmenschen registriert,
falsches Verhalten und Lügen
mit seismographischer Präzision
entlarvt und deren Inneres
nach außen kehrt, es bloßstellt
und mit geistigem Seziermesser
bis ins Detail analysiert.
Ihr kann keiner etwas vormachen.
Sie, die Authentizität in Person,
wirkt auf ihre Mitmenschen
beängstigend, lässt sie in ihrer
Gegenwart meist verstummen,
weil sie Angst haben, über
Gestik, Mimik, Tonfall ihr gegenüber
Schattenseiten des Seelenlebens
ungewollt preiszugeben.
Sie stellt höchste Ansprüche
an die Integrität ihrer Mitmenschen,
doch nur selten kann jemand
ihr diesbezüglich das Wasser reichen.
Menschen meiden sie allein schon
wegen ihrer Ausstrahlung
die moralisch-ethisch alle anderen
im Nu überstrahlt und
unweigerlich in den Schatten stellt….


Jahre vergehen, in denen sie immer mehr vereinsamt.