Scherz darf fast alles.
Das ist nicht nur eine Redewendung, sondern ein gesellschaftlich geduldeter Betriebsmodus, ein kulturelles Schlupfloch, in dem sich auch Frau Scherz ausgesprochen wohl bewegt.
Vielleicht — so überlegt sie leicht spöttisch — sollten wir uns alle genauso wie sie selbst an die Vorweihnachtszeit gewöhnen. Es gibt ohnehin kein Entrinnen: Der Hochsommer sehnt sich nach Abkühlung, der Mensch nach Erfrischung, und kaum hat der Kalender ein paar warme Tage ausgehalten, werfen die Supermärkte bereits Lebkuchen wie stille Frühwarnsysteme in die Regale.
Natürlich, rein wirtschaftlich betrachtet, ist es ein klassischer Präferenz-Markt: Angebot vor Nachfrage, Tradition hinter Marge. Osterhasen werden in Schichtarbeit zu Weihnachtsmännern umgegossen, und das Ergebnis nennt sich saisonale Flexibilität — betriebswirtschaftlich sinnvoll, kulturell eher eine Art Zuckerwaren-Surrealismus.
Frau Scherz könnte darüber lächeln.
Könnte.
Würde.
Wenn es nicht so entlarvend wäre.
Denn das, was da betrieben wird, ist marktwirtschaftlicher Aktionismus in Reinform: keine Kultur, keine Reflexion, keine Frage nach Sinn oder Sitte. Ein Spiegel, der nicht reflektiert. Ein Märchen ohne Moral. Und Frau Scherz, die sich sonst selten in Pathos verliert, erhebt zumindest eine Augenbraue, wenn ausgerechnet der Konsum uns erzählen will, was wir als Nächstes zu fühlen haben.
Und doch: Scherz darf fast alles.
Also nimmt sie sich selbst nicht heraus.
Warum sollte sie?
Wenn andere sich die Freiheit nehmen, können auch ihre Flunkereien unbehelligt spazieren gehen. Frei nach dem Grundsatz: Wer sich selbst nicht allzu ernst nimmt, fällt wenigstens weich.
Sie gesteht jedem das Recht auf Zerstreuung zu — eigenverantwortlich, ohne Zwang, ohne moralischen Zeigefinger. Ein Anspruch auf Spaß, sozusagen. Eine kontrollierte Auflösung des Alltagsgraus, gewissermaßen eine psychosoziale Entlastungsmaßnahme, mit der sich selbst die verkrampftesten Stirnmuskeln einmal in Bewegungsfreiheit üben dürfen.
Lachen als mikrotherapeutische Intervention:
eine Yoga-Dehnübung des Gesichts,
eine spontane muskuläre Entwarnung,
ein kurzes Te a Tê mit der Sonne —
ein Moment, in dem man sich selbst beim Lächeln ertappt.
Und darin liegt das Paradoxe:
So sehr Frau Scherz die Gesellschaft auch beobachtet und gelegentlich seziert — sie bleibt Teil davon. Bereit, mitzuspielen, mitzuschmunzeln, mitzudenken.
Scherz darf fast alles.
Und Frau Scherz nutzt dieses Privileg,
nicht um sich abzuheben,
sondern um uns daran zu erinnern,
dass Humor ein funktionierendes Frühwarnsystem ist:
für Übertreibungen, für Absurditäten,
und für all das, was wir sonst im hektischen Alltag übersehen.
© Marcel Strömer
[Magdeburg, 12.12.2025]