Blicke weiten sich

Ein Gedicht von Marie Mehrfeld
nun, da Dämmerung diesen Tag besiegen will,
hocken rhythmisch zuckende vorvorgestrige
Gedankenfetzen auf dem Fenstersims, und sie

bejammern die wandernde Zeit; jetzt nicht die
Ohren schließen, sich nicht dem Sog der alten
Weisen entziehen, die dich ernährten in deiner

Traurigkeit, als du Kind warst; ja du musst den
Raben die roten Verbände von den Schnäbeln
lösen, dass sie reden von dem, was war, und du

lauschst ihnen angstfrei und fängst mit deinem
weißen Nachtkleid den vollen Mond auf, der die
Blutspuren der Gräber ausleuchten will, die den

Totenacker überschwemmen, auf dass jeder sehe,
was da war vor nicht zu langer Zeit; hier liege ich
schlaflos mit weit geöffneten Augen und lausche

dem winselnd um den Kirchenturm kreiselnden
Sturm, der sich selbst versenkt im Nass des auf
gewühlten Mutterbodens - an einem namenlosen

regennassen Sommerabend; Blicke weiten sich
für neue Wege, die mich tragen werden an Orte,
deren Melodien und Farben mich heilen wollen




© M.M.

Informationen zum Gedicht: Blicke weiten sich

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09.08.2021
Das Gedicht darf unter Angabe des Autoren (Marie Mehrfeld) für private Zwecke frei verwendet werden. Hier kommerzielle Anfrage stellen.
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