Sperrstunde

Ein Gedicht von Tilly Boesche-Zacharow
(Kleine Moritat)

In der Zecher lautes Schrein´n
mischt ein letzter Gast sich ein.
Niemand hat ihn kommen sehn,
bemerkt ihn plötzlich nur da stehn.
„Freunde!“ ruft der grad laut aus.
„Die Zeit ist um, geht jetzt nach Haus!“

Sie halten inne im Gespräche,
platt, was der sich da erfreche.
Laut gellt auf ein Einspruchsschrei,
und auch der Wirt eilt flott herbei.
Wie können Gäste es denn wagen,
ihm die Sperrzeit anzusagen?

Was solch ein Abbruch denn hier soll?
Die Kasse ist noch längst nicht voll.
Und wozu so ein dummes Schwätzen?
Der Herr, er sollt sich lieber setzen
zu einem vollen Glaserl Wein.
„Kommt, mein Herr, ich schenk euch ein.

In meinem Haus sind wir wie Brüder ,
lauschen gern der Galgenlieder…“
So ist es schließlich auch gedacht,
es ist der Wirt, der Rechnung macht.
Der Gast steht nunmehr unbewegt,
dieweil sein Mantel leicht aufschlägt.

Es zeigt sich nackte Knochenrippe,
kein Wort entweicht der fleischlos´ Lippe.
Es wird nicht oft dem Herrn der Toten
ein Gläschen Wein so angeboten,
das - es ist schon wirklich toll –
er auch noch selbst bezahlen soll.

Gebot´ne Frist ist abgelaufen,
niemand wird sich noch was kaufen…
Sekunden nur, die sich nicht dehnen,
dann heulen laut schon die Sirenen….
Denn Gäste, Mann und kleine Maus
löscht grad gezündet` Bömbchen aus.

Morgens melden die Gazetten:
Mancher hätt´sich können retten -
so klingt es auf in schwarzen Spalten -
hätt man die Sperrstund eingehalten.
Vom letzten Gast um Mitternacht
hat keine Zeitung was gebracht.

(2013)

Informationen zum Gedicht: Sperrstunde

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24.06.2013
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