Rückschau

Ein Gedicht von Georg Babioch
Auch wir haben geschaffen in unserem Lande,
Einst in einem neuen schwarzen Gewande;
Was wir tuen konnten, in unseren Städten,
Das haben wir getan, fast möchte ich wetten;
Wir haben Steine gestapelt und Häuser errichtet,
Zunächst auf so manche schöne Lust verzichtet;
Sind Sonntags in die Kirche gegangen,
Es klingelte sanft, wir Gottesstrophen sangen;
Wie Lieschen vor dem Richter standen wir stocksteif da
Und fragten uns heimlich, ob Gott uns zusah;
Wir schufen uns Wohlstand, wir sparten beizeiten,
Nur sollte uns der Teufel nicht wieder verleiten;
Unsere Bäuche wuchsen so rasch und bald
zerstörten wir unseren Wald;
Es duftete Käfer auf unseren Straßen,
Düfte, von denen so manche verblassen,
So modrig schon, Verwesungsdüfte,
Es wallte Schamröte durch die Lüfte;
Und Schwarze kamen und aus den Taschen
Fielen Groschen, mit denen wir unsere Hände waschen.
Und wer hat uns betrogen? Niemand, doch
Erinnere ich mich, wie aus uns der Scharlatan kroch;
Wir verführten alle Welt zu glauben,
Hoch würden sie nicht hängen, die Wohlstandstrauben;
Jeder könne sich schaffen diesen Genuß,
Jeder könne erlangen einen solchen Kuß:
Er müsse nun wieder zu den Waffen greifen,
Um Industrie zu errichten, mit Verteidigung überzustreifen;
So wurden wir frei von Kümmernissen,
Längst nicht geplagt von Gewissensbissen;
Und so mancher hat seinen Glauben verloren,
Statt Freiheit und Demokratie die Beuter erkoren.
Schon sind wir müde vom Börsenhetzen,
Wir träumen davon, uns nicht zu verletzen,
Und um weiterhin an Infarkten zu sterben,
Allein um Unternehmen und Heime zu vererben.

Informationen zum Gedicht: Rückschau

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21.07.2012
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