Das schlechte Gemälde - Eine Kritik an der Kritik
Ein Gedicht von
jogdragoon
Ich ging durch eine alte Häusergasse.
Beide Hände entspannt in die Hosentasche gesteckt, schaute ich mir die Gärten an.
Plötzlich sah ich ein Bild auf einer Fensterbank, an ein Fenster gelehnt, stehen.
Ich schaute es mir genau an.
Das Bild zeigte ein einfaches, graues Gebäude auf einer grünen Wiese.
Darüber war ein dunkler Himmel zu sehen.
Es war nicht so, dass mir das Bild gefiel,
trotzdem blieb ich stehen und betrachtete es genau.
Die Darstellung war flach, keine Schatten, keine Tiefe und
keine Struktur, die den Betrachter durch das Bild geleitete.
Die Sonne sollte das Gebäude wohl anstrahlen, denn es war heller als der Rest des Gemäldes.
Das Grün der Wiese war in groben Strichen, gerade mal mit zwei Grüntönen, gemalt worden.
Es fehlten Lichtreflexe.
Auch war dem Künstler der Begriff „Fluchtpunktperspektive“ nicht bekannt.
Das sah man an den parallelen, rechten Winkeln des rechteckigen Gebäudes.
Die Augenhöhe des Betrachters, nach dem das Gebäude hätte konstruiert werden können, war nicht eindeutig.
Es war anzunehmen, dass der Übergang der Wiese zum Himmel, diese Linie darstellen sollte.
Das Gebäude wirkte, als würde es über der Wiese fliegen.
Die einheitlichen Blumen zeigten ihre bunten Blüten dem Betrachter.
Sie waren alle gleich groß mit 5 Kreisen als Blütenblätter und einem schwarzen Kreis in der Mitte.
Die Fenster und Türen des Gebäudes waren unterschiedlich groß und passten nicht so richtig zusammen.
Deren Rahmen waren geometrisch exakt rechteckig.
Die verwendeten Farben waren Grün, Blau, Rot und Schwarz sowie dunkle Grautöne für den Himmel.
Das Alter des Künstlers konnte ich nicht erraten.
Kinder malten zumeist keine geraden Linien,
doch die Linien des Gebäudes waren gerade.
Die Blüten der Blumen waren einfache, bunte Kreise.
Die Pinselführung ließ auf eine Frau oder ein Mädchen schließen.
Das Bild zu malen hatte schon einige Zeit und Mühe in Anspruch genommen.
Ich dachte nach!
Das Bild war als Gemälde für mich nicht zu gebrauchen. Jedoch war meine Bewertung interessant.
Was wäre, wenn ein Mädchen mich fragen würde, wie mir ihr Bild gefallen würde ?
Würde ich all das Wahrgenommene aufzeigen, in der Hoffnung, dass Sie das als Inspiration für zukünftig „bessere“ Bilder umsetzen würde ?
Oder würde ich höflich sein und ihr sagen, dass ich es sehr interessant fände und nach der Motivation für das Bild fragen ?
Wie würde sie Kritik aufnehmen ?
Im ersten Fall könnte sie beleidigt sein und den Spaß am Malen verlieren.
Im zweiten Fall könnte sie sich bestätigt fühlen und sie motivieren, weitere Bilder zu malen. Doch ihr künstlerisches Niveau würde gleich bleiben.
Eine Kritik der Mitte könnte auch passend sein. Das Positive hervorheben und Vorschläge für einige Änderungen an dem, was mir Negatives auffiel, geben ?
Doch hier gab es viel zu viel, was nicht passte.
Dann fiel mir auf, dass mein hoher Anspruch ein Teil des Problems war.
Vielleicht sollte ich meinen Anspruch extrem senken und mich einfach an einem farbenfrohen, lebendigen und inspirierenden Gemälde erfreuen.
Das könnte ich der Künstlerin zum Beispiel sagen! .. Und das wäre gut.
Wenn sie sich nicht damit zufrieden geben würde, könnte ich immer noch .. vorsichtig .. einige wenige Hinweise geben.
Tatsächlich kam eine fröhliche, spritzig lebendige, junge Frau in den Garten und blickte mich interessiert an.
Sie sah, wie ich das Bild intensiv betrachtete und fragte mich, wie ich ihr Bild fand.
Nachdem ich ihr dann doch, entgegen meinen gerade gedachten Gedanken, die Dinge aufzählte,
die aus meiner Sicht eine sehr große Diskrepanz zur Realität aufwiesen, merkte ich, dass sie sich von mir distanzierte.
Es tat mir sehr leid.
Sie sagte noch, dass sie das Bild aus dem Fenster nehmen würde, denn so könnte sie es ja niemandem zeigen.
Eigentlich hätte sie das alles schon selbst bemerkt und wäre mit dem Ergebnis unzufrieden.
Mir fiel auf, dass sie sich von mir angegriffen fühlte.
Sie verstand nicht, dass ich nicht sie kritisierte, sondern nur ihr Produkt.
Und das zeigte nur einen kleinen Aspekt ihrer schöpferischen Fähigkeiten.
Und diese konkreten Fähigkeiten könnte sie erlernen, erweitern und bis zur höchsten Reife treiben.
Wenn sie es denn wollen würde !
Also nichts, worüber sie unglücklich sein müsste.
Des Weiteren war sie ein wenig unehrlich zu sich selbst !
Ich unterdrückte das zu sagen und empfahl ihr, einen Zeichenkurs zu machen,
da ich in ihrem Bild doch ein großes Potential sah,
dass nur den richtigen Schliff und etwas Nachbereitung brauchte.
*
Lerne bei Zeiten
besondere Fähigkeiten
Sie werden Dich begleiten
zu größeren Möglichkeiten
Willst Du das bestreiten
und lässt Dich vom „später“ leiten ?
So wirst Du in unerreichten Weiten
durch verlebte Jahre schreiten
am Ende .. mit Dir selber streiten !
© jogdragoon
Bibat ex me qui potest
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