Die versteckte Stadt

Ein Gedicht von Wolf-Rüdiger Guthmann
Bis gestern vergingen fünfundzwanzig Jahr,
dass ich nicht in Hoyerswerda-Neustadt war.
Damals entfernten die Bauarbeiter stolz
jedes Stück Grünes und auch jeden Stamm Holz.
Kein Blatt sollte einen fremden Blick hindern,
wenn die Arbeiter mit der Technik schindern.

Damals war diese neue Stadt noch im Bau,
und man sah alle Gebäude ganz genau.
Jede Lücke war zu jener Zeit bebaut,
da hat man nur auf frischen Beton geschaut.
Und ein unscheinbares Unkrauthälmchen nur
wurde dort zum großen Wunder der Natur.

Man richtete sich gut nach den Wohnscheiben,
um dort stets auf dem rechten Weg zu bleiben.
Vom Gewerbepark Süd bis nach Altstadt Nord
sah man schlicht und einfach ungehindert fort.
Und von Richtung Osten bis Bahnhofs Westen
sah man die neue helle Stadt am Besten.

Aber gestern war ich total aus dem Haus,
denn alles sieht jetzt so ganz verändert aus.
Nicht nur weil auch große Wohnblöcke fehlen,
auch bei den Wohnscheiben muss man nun zählen.
Wo früher der Mann mit Büffelkopf saß,
jetzt der Steinbeißer so manchen Aufgang fraß.

Die Ampeln ersetzte man durch Kreisverkehr,
die Innenstadt war trotzdem noch ziemlich leer.
Das größte Wunder aber, das dort geschah,
waren jetzt die vielen Bäume hier und da.
Linden, Erlen, Eichen, Birken und Buchen
konnte man vor vielen Jahren noch suchen.

Doch bis heute haben sie sich so gestreckt,
dass manches Haus sich drunter total versteckt.
Ich sah große Sträucher und Riesenhecken,
auch Unkraut, wie Melde, Wegwarte, Quecken.
Doch so eroberte die Natur sich schon,
was dort einst abgeholzt für Mensch und Beton.

(Den Büffelkopf des schwarzen Projektanten
über dem Zeichentisch hier alle kannten.
Übrigens, unverhofft ist es geschehen,
ich habe diesen Kopf wiedergesehen.
Doch ich werde euch den Ort nicht verraten,
das wäre Werbung für Bier und für Braten.)

14.08.2013 © Wolf-Rüdiger Guthmann

Informationen zum Gedicht: Die versteckte Stadt

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11.08.2013
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