Nebras Himmelsscheiben

Ein Gedicht von Wolf-Rüdiger Guthmann
Bei Nebra einst ein Kloster stand,
das lange wieder abgebrannt.
300 Jahre war es etwa her,
da war die Stelle dort noch leer.
Ein Blitz, ein Wetterungeheuer
entfachte dort ein Waldbrandfeuer.

Und im fernen Böhmerland
gab es Männer, die verbannt.
Sie lebten für die Wissenschaft
die der Kirche sehr verhasst.
Sie bildeten mit eigner Kraft
eine Glaubensbruderschaft.

Als sie flohen in Nebras Landen,
sie den verkohlten Wald dort fanden.
Sie sagten: „Das ist Gottes Zeichen,
dass wir nicht von der Stelle weichen.“
Und so packten sie das Werkzeug aus
und bauten sich ein Gotteshaus.

Eine Kirche mit Turm ohne Glocken,
die sonst zum Gottesdienste locken.
Dafür schuf man noch Wohnraumzellen,
und ne Werkstatt, um was herzustellen.
Der Turm stand ostwärts auf dem Giebel
und sein Baldachin ähnelte der Zwiebel.

Doch bald schon gab’ s nen zweiten Turm
ähnlich einer Ruine durch den Sturm.
Statt des geschwungenen Zwiebelbaldachin
legte man nur ein Kupferblech hin.
Ein Blech, dessen Loch in der Mitte jeder kennt,
und das sich heute Optik-Blende nennt.

Unten drunter inmitten des Raumes
lag die ebene Scheibe eines Baumes.
Offiziell die Mönche Geschirr hier bauten,
doch nachts dann in die Sterne schauten.
Aus Kupfer tat man Töpfe, Krüge treiben
und nebenbei dann Bronzescheiben.

Kurz und gut, man wie ein heimlicher Dieb
im Turm eine Camera Obscura betrieb.
Durch das Loch des Blechs im Turmzimmer
fiel das Sternenlicht ohne Wolken immer.
Es strahlte schwach und seitenverkehrt
auf die Scheibe, die der Tisch gewährt.

Die Bronzescheiben waren rund
mit vierzig Löchern, an dem Bund.
Vierzig konstruierten sich besser,
es gab noch keinen Winkelmesser.
Diese Zahl auch als biblisch gilt
und somit jede Norm erfüllt.

Am Tisch standen vier Nägel, tief und klein,
dort rastete wie ein Zahnrad jede Scheibe ein.
Die Bronzeplatte war sauber planiert
und wurde dann noch künstlich patiniert.
Jeden Tag wurde sie angehoben
und um einen Zahn verschoben.

Am Tag hat sich der Sonnenstand
leicht in das Metall gebrannt.
Kam dann nachts der Mond marschiert,
wurde sein Lauf eingraviert.
Das geschah auch mit bestimmten Sternen,
die sich nähern und entfernen.

Wiederholte sich des Mondes Lauf,
legte man ne neue Scheibe auf.
13 Scheiben wurden es in einem Jahr,
wertvoll, weil Statistik noch rar.
Die erste Platte man so platzierte,
dass eine Linie zum Brocken führte.

So ein Wolken verhangener Berg
war ein willkommenes Zauberwerk.
Die Gelehrten hatten erkannt,
so ein Punkt war sehr markant.
Und so sah’ n und erlebten sie Sachen,
die heute noch Probleme machen.

Sie hielten alles zwar geheim,
und erstickten Gerüchte im Keim,
doch irgendwann die Feinde kamen
und durch Feuer alles nahmen.
Die Scheiben wurden arg geschunden,
doch man hat manche schon gefunden.

16.08.2013 © Wolf-Rüdiger Guthmann

Informationen zum Gedicht: Nebras Himmelsscheiben

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16.08.2013
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