Grenzgänger Natur

Ein Gedicht von Marcel Strömer
Der Trockenwald atmet schwer,
doch er atmet.
Unter seinen Wurzeln liegt die Tiefe der Torfschichten,
schwarz und kühl,
tausende Jahre alt —
ein Archiv der Erde.

Fester Boden unter den Füßen,
doch nichts daran ist wirklich fest:
Jeder Schritt ruht auf Geschichten
aus unvollständig verrottetem Holz,
auf Wesen,
deren Spuren in der Dunkelheit lagern,
auf Pflanzenresten,
die das Wasser einst trug
und dann bewahrte.

Der Grundwasserspiegel,
salzig im Ton,
meerähnlich in seinem Klang,
lagert Kohlenstoff ein,
5000 Jahre tief
und still wie ein Versprechen,
das nie gesprochen wurde.

Hier,
oberhalb des Blätterdachs,
an der Grenze zwischen Wald und Himmel,
steht ein Ökosystem,
das Monate — nein, Jahre —
für eine einzige Veränderung benötigt.
Und doch kann es in einem Sommer
verloren gehen.

Trockenwälder und Moore:
Zwei Welten,
die Wasser brauchen,
um Feuer zu zähmen
und Zeit zu speichern.
Sie sind die leisen Klimapuffer,
die selten besungen werden —
aber sie tragen die Last.

Moorpflanzen wie Torfmoose
halten das Vielfache ihres Gewichts an Wasser,
bremsen Brände,
filtern Licht,
speichern Kohlenstoff
in einer Geduld,
die menschliche Lebensspannen übersteigt.

Zwischen ihnen leben Arten,
die nur hier entstehen konnten:
Wurzelpilze,
Moorlibellen,
Sonnentau,
Moorbirken,
und Kleinstlebewesen,
die ganze Nahrungsketten tragen
und dennoch namenlos bleiben.

Je mehr wir wissen,
desto klarer wird:
Dieses Ökosystem steht nicht nur
vom Aussterben bedroht —
es ist bereits im Rückzug begriffen.
Jeder abgesenkte Wasserspiegel
öffnet ein Tor für Feuer,
jeder Hitzetag beschleunigt den Zerfall
jahrtausendealter Kohlenstoffspeicher.

Doch Wissen ist ein Werkzeug,
ein Hebel,
ein Anfang:
Je genauer wir verstehen,
wie Torf entsteht,
wie Wasser wandert,
wie Arten sich verweben —
desto besser können wir schützen,
was uns schützt.

Und so bleibt der Trockenwald
kein sterbender Ort,
sondern ein Lehrmeister:
ein stiller Gigant,
dessen größte Stärke
die Erinnerung der Erde ist.


© Marcel Strömer
[23.11.2025]

Informationen zum Gedicht: Grenzgänger Natur

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23.11.2025
Das Gedicht darf unter Angabe des Autoren (Marcel Strömer) für private Zwecke frei verwendet werden. Hier kommerzielle Anfrage stellen.
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