Europas Zerrissenheit

Ein Gedicht von Hans Hartmut Dr. Karg
Europas Zerrissenheit

Von hohen Gletschern einst geschaffen,
Zergliedert und meeresumflossen,
Wo Völker aufeinander trafen
Und mit dem Weib der Wein genossen,
Da liegt mein schöner Kontinent,
Der uns Glück und Wohlstand gebracht,
Wo Frieden und man Arbeit kennt,
Mancher im Schrebergarten lacht;
Da wurde Volksherrschaft geboren,
Philosophie, Physik, Olympia:
Die Kunst hatte man auserkoren,
Als leidend man den Christus sah,
Weil Nächstenliebe Christen brachten,
Wo zuvor Schänder, Legionäre
Die anderen Völker niedermachten
Beim Kampf – und später mit Gewehren
Der Welt Leid und den Tod verhießen,
Weil es um Macht und Siege ging,
Sie Menschen dort einkerkern ließen,
Wo man an Feindbildern gern hing.
Da hatte man sich jüngst geschworen:
Nie wieder Kriege, kein KZ!
Wir sind als Gutmenschen geboren,
Zu Jedermann und Jedem nett!
Doch als die vielen Boote kamen
Mit Streben nach Hegemonie,
Weil Fundamentalisten nahmen,
Was jeder Würde Hohne zieh
Und weltweit eine Religion
Zur Allmacht sich jetzt höherschwang,
Verschärfte sich der gute Ton,
Wo immer mehr der Flüchtlingsdrang
In Richtung nach Europa ging,
Weil man die Honigtöpfe sah,
Man gerne dort am Tropfe hing
Und ganz bei Wohlständigen da.
Nun steht Europa im Dilemma:
Muss es nicht helfen, Boote bauen,
Wenn auf dem Meer, dem Tode nah
Flüchtlinge zur Tiefe schauen?
Kann man den Wohlstand noch erhalten,
Wenn nun Millionen zu uns kommen?
Ist menschlich Zukunft zu gestalten
Mit denen, die Abschied genommen?
Müssen den Mangel wir verwalten,
Die Vorräte bald zehren auf,
Weil nicht vom Recht her zu gestalten,
Wo Menschen kommen rasch zuhauf?
Wer will noch arbeiten im Land,
Wenn andere ohne auskommen,
Leben von öffentlicher Hand,
Wo andere nichts abbekommen?
Wieso soll man zur Schule gehen,
Wenn die Sozialsysteme zahlen,
Wieso denn noch am Bande stehen,
Wieso noch gehen zu den Wahlen?
Natürlich wär' das Wählen wichtig,
Die Bürger lieben den Erdteil!
Doch was ist gut und was ist richtig,
Wo liegt Europas Seeenheil?
Das Geld liegt nicht im Straßengraben,
Es muss zuvor verdient erst werden.
Dazu muss man ein Ethos haben
Und nicht nur Wünsche hier auf Erden.
Wenn alte Männer fleißig bauen,
Um Wohnungen dann zu errichten
Und junge Flüchtlinge zuschauen,
Wird Arbeitsethos das vernichten!
Wenn Rentner in Armut versinken,
Im Alter kaum noch überleben,
Während Junge mit Scheinen winken
Und nur nach Alimenten streben,
Muss sich Europa wirklich fragen,
Wie wir Gerechtigkeit erreichen
Und nicht bei Aufgaben versagen,
Entscheidungslos nur Wünsche pfeifen.


©Hans Hartmut Karg
2019

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Informationen zum Gedicht: Europas Zerrissenheit

132 mal gelesen
22.05.2019
Das Gedicht darf unter Angabe des Autoren (Hans Hartmut Dr. Karg) für private Zwecke frei verwendet werden. Hier kommerzielle Anfrage stellen.
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