E. Im Garten Eden

Ein Gedicht von Georg Babioch
Vier Personen wandeln durch den Garten Eden.

Peter spricht:

Sind diese Ruinen etwa aus antiken Tagen,
Oder woher wohl kommen all diese Steine her, aller Lagen,
Liegen kreuz und quer in unserer Landschaft herum,
Überaus beredt, doch lautlos und stumm,
Überall Haufen und Steine, soweit die Sicht,
Unsere weitere Geschichte bereits in die Gegenwart sticht,
Wieder aufzubauen Stein für Stein,
Wieder zu träumen von einem Menschensein,
Doch habe ich geträumt in den wenigen Jahren,
Daß wir als Arier in den Himmel einfahren.

Peter spricht einige für die anderen unverständlichen Worte halblaut vor sich hin; es spricht Lisbeth weiter:

Wohl hast Du recht, auch ich habe geträumt,
Habe während der zwölf Jahre keinen einzigen Traum versäumt,
Habe "Heil!" geschrien und meine Hand erhoben,
Auch ich wollte unserem Führer Treue geloben.
Doch der Arier ist des Rätsels Lösung nicht gwesen,
Das habe ich heute in der Zeitung gelesen;
Um auszurotten den unseligen Jud,
Ihn auszuziehen bis auf sein Blut;
Wir hatten vieles gar nicht gewußt,
Der Konzentrationslager waren wir uns nicht bewußt.

Peter:

Seht her, was ich hier behalten habe,
Dieses Abzeichen versteckt, mit diesem trabe
Trabe ich zwischen den Ruinen laufsgestalt,
Was für Zeiten, als der Kaiser noch etwas galt;
Ein Abzeichen aus alten Tagen,
Möchte ich Euch mitteilen und hiermit sagen;
Auch fröhnte dem deutschen Militarismus
Und verachtete den Jud und auch den Kommunismus;
Dies waren halt die Zeiten,
Um Herrschaft und Barbarei über die Geschichte auszubreiten.

Peter nimmt seine Handfeuerwaffe und donnert zwei mal in die Luft. Indem er seinen Kopf konzentriert gegen den schwelenden Boden senkt, auf dem er steht, und dennoch das Ziel anvisiert, kommt ein herzgetroffener deutscher Adler geflogen und schlägt wenige Meter neben Peter und seien Begleiterinnen auf, erholt sich umgehend, sieht etwas Silbernes blinken, etwa den Vorläufer eines Markstückes, und verschwindet für immer zwischen den Trümmern und Ruinen der deutschen Geschichte.
Unbekümmert führen die anderen ihr Gespräch fort, wandeln und promenieren im Garten Eden der neuen Zeitgeschichte entgegen, verhandeln über den Geschichtsverlauf. Es wird dunkel und es wird Tag - viele Schweißtropfen geopfert, die deutschen Bordsteine wieder geordnet und gefegt, die Menschen wieder glücklich und gelöst; Im Panorama ihrer Städtelandschaften treffen Herr Borgward und Frau Volkswagen aufeinander, doch unbeachtlich dieser beiden
treffen wieder einige Personen aufeinander: Lisbeth (Sekretärin), Petra (Chefsekretärin), Waltraud (Sekretärin, aber keine Chefsekretärin) und Peter (Konzernchef in spe).

Lisbeth: Scheiße!

Petra:

Heute wundert sich niemand mehr über unsere Wirtschaft,
Was der deutsche Mensch nun bald wieder schafft;
Wir sind überall wieder ganz vorne,
Weil ich ihn ganz doll wieder ansporne;
Ich bin Sekretärin von Beruf, und Du?
Du schaust aus wie eine alberne Kuh;
Hast Deine Perücke nicht sitzen
Und tust unter Deinem Puder im Gesichte schwitzen.
Laßt uns nun ein wenig über unsere Rüstung sprechen,
Oder sollen wir dieses Thema in ein paar Jahren wieder anbrechen;
Dann brechen wir wieder ein neues Kapitel unserer Geschichte an,
Was der deutsche Mensch wieder alles erschaffen kann.
Ganz ohne Rüstung ist es auch nicht behaglich und warm;
Ach, Ihr Lieben, noch zwei Tage warte ich auf meinen Schwarm;
Er führt sich noch spazieren in seinem Soldatenrocke,
Und in seinem Rocke treibt er sein Glied in meine Spalte in der Hocke;
Seinen Nacken ganz kahl geschoren,
Als Metzgermeistersohn hochwohlgeboren,
verliebt in mich bis über beide Ohren,
Warum wir den Krieg überhaupt verloren?
Wir rauschen mit unseren Träumen über die Autobahn,
Und Sonntags fahren wir auf der Spree mit einem alten Kahn,
Und nachmittags natürlich die Sahne,
Unter einer gewaltigen schwarz-rot-goldenen Fahne.
Wir leben in einem Garten Eden,
Beileibe lieben wir nicht jeden;
Wir schaffen uns wieder unseren Jud´,
Und betrinken uns mit Indianerblut;
Der kleine Italiener ist wie dazu erschaffen,
Und auch der Türke gehört zu den Menschenaffen;
Wenn unsere Wirtschaft so richtig losgelassen,
Wir unser Glück mit Gastarbeitern anfassen,
Zu unserem alleinigen Wohl,
Herr Adenauer und Herr Kohl.

Lisbeth: Scheiße!

Waltraud:

Ich widme mich also dem Steine,
Als Trümmerfrau ich nunmehr weine,
Weine über Ruinen und Trümmern,
Warum sollte das Alte verkümmern.
Im Nu erbaut ein neues Gebäude,
Zu seiner und meiner vollen Freude;
Auch ich habe einen Mann,
Gelegentlich und dann und wann;
Auch er spaziert im Rocke,
Und treibt es mit mir in der Hocke,
Ich habe ihn ausersehen,
Das werdet Ihr wohl verstehen.

Peter:

Meine Damen, ich möchte mich Ihnen vorstellen,
Ich bin Unternehmer, können Sie sich dieses vorstellen?
Wir leben in schwierigen Zeiten,
Um Reichtum auszubreiten;
Doch habe ich meine eigenen Gedanken,
Wie Arbeiter in meinem Betrieb bald wanken,
Putzen, arbeiten und produzieren,
Stehend und auf allen Vieren.
Ich nehme vom Arbeitsmarkte,
Wo der Arbeiter seine Arbeitskraft parkte,
Und stelle viele Leute ein,
Gemeinsam und im Verein
Werden wir es wohl schon noch schaffen,
Auch eingestellt die Menschenaffen,
Gastarbeiter immerzu,
Ausgebeutet nun im Nu.
Ein jeder muß Opfer erbringen,
Zum Wohle der Gemeinschaft zu singen,
Zwei Stunden Mehrarbeit zum selben Lohn,
Was macht das schon, was macht das schon?

Lisbeth: Scheiße!

Petra:

Und auch die Damenmieder,
Verkaufen sich gut bald wieder;
Zwei Stunden Mehrarbeit zum selben Lohn,
Was macht das schon, was macht das schon.

Waltraud:

Ein guter Plan, ein starkes Stück,
Wie gern ich mich dann wieder bück;
Dann brauchen wir nicht zu bangen,
Um Glück wieder einzufangen.

Petra:

Zwei Stunden Mehrarbeit zum selben Lohn;
Was macht das schon, was macht das schon?

Peter:

Und auch die Rüstung wieder,
Singt uns bald wieder schöne Lieder;
Milliarden für den Reichtum der Unternehmen,
Es wird keine Nation mehr lähmen.

Lisbeth: Scheiße!

Petra:

Dies ist die Ankurbelung der Konjunktur,
Konsequent verplant und überaus stur,
Das Geld gewissermaßen verschenkt,
Nicht das der Arbeiter daüber Schlechtes denkt.

Peter:

Ich habe so meinen Plan,
Keine leeren Gedanken, keinen Wahn,
Auch von staatlichen Milliarden partizipieren,
Alle, die Rüstungsgüter produzieren,
Und deren Zulieferanten,
Die ihr Glück nicht verkannten;
Ein neues Kapitel in der Geschichte
Und im historischen Lichte
Angeschlagen und dann bald
Ist die Republik vierzig Jahre alt.
Der Staat wird geschröpft ganz legal,
Kanonen aus Eisen und Stahl,
Kanonen und Panzer und was sonst noch,
Jagdbomber und Maschinengewehre und was sonst doch;
Doch dies ist alles nicht wichtig,
Daß das Geld in meiner Tasche verdunstet ist richtig,
Und der Unternehmer dem Politiker die richtigen Worte buchstabiert,
Weil der Politiker dem Unternehmer gerne hofiert.

Lisbeth: Scheiße!

Waltraud:

Herr Unternehmer, Sie sind ein ganzer Mann,
Man sieht, was ein Unternehmer alles machen kann:
Wir haben nur im Sinne die Konjunktur,
Überaus beredt, wir bleiben stur,
Der Staat benötigt seine Kanone,
Dies zu unserem Profit und Ihrem Lohne;
Und zwei Stunden Mehrarbeit zum selben Lohne,
Was macht das schon, was macht das schon?
Es entsteht im neuen Gewande,
Eine neue Republik in unserem Lande.

Lisbeth: Scheiße!

Peter:

Übrigens ist die Ankurbelung der Konjunktur mittels der Rüstungsproduktion kein moderner Gedanke mehr. Wenn wir einige Milliarden Euro in den Bereichen von sozialen Maßnahmen und durch Hartz IV einsparen, können wir einige hunderte Milliarden an marode Banken und Staaten überweisen. Dies ist effektive und staatstragende Wirtschaftspolitik, und gut und richtig,
für mich als Unternehmer sehr wichtig:

Denn es entsteht im neuen Gewande,
Eine neue Republik in unserem Lande.

Glücklich reichen sich die Vier ihre Hände und promenieren weiter durch den Garten Eden, der Sonne entgegen.

Informationen zum Gedicht: E. Im Garten Eden

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10.08.2012
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