Die Geisterbahn

Ein Gedicht von Wolf-Rüdiger Guthmann
Mein Auto war so voller Schmutz,
da fehlte ihm echt ein großer Putz.
Die Tochter sagte: „Ich komme mit,
drinnen sitzen bleiben ist der Hit.“
Ich hab das zwar noch nie probiert,
doch die Neugierde hat uns verführt.
Es kann doch sitzend nichts passieren
und im Sommer wird keiner erfrieren.

Der Kassierer am offenen Hallentor
warnte uns beide noch mal davor.
Doch wie das ist im Lauf des Lebens,
mancher gute Rat ist doch vergebens.
Wir sitzen drin, das Radio schwächelt,
wir winken, der Kassierer lächelt.
Der Gummi quietscht, die Klauen greifen,
das Band ruckt an, die Räder schleifen.

Das Auto wird von starker Hand
jetzt auf die Wasserfahrt gesandt.
Eine Frau mit Hochdruckspritze
bildete des Reinigungsweges Spitze.
Wenn die Räder einmal laufen,
zerquetschen sie manch Hundehaufen.
Doch die Masse sitzt viel und tief
in des Reifens Profil, längs und schief.

Diesen Schmutz und noch viel mehr
weicht sie auf, drum spritzt sie sehr.
Dann kommt fahrtbedingt eine Lücke,
Zeit, dass ich die Scheibenwischer drücke.
Dann hab ich mit dem Eindruck gerungen,
es kämen zwei lumpige Hexen gesprungen.
Stofffetzen, halb schwarz, halb weiß
tanzten erst mal wie wild im Kreis,

donnerten dann gegen alle Scheiben,
um den Schaum recht tief zu treiben.
Sie zischten, wischten, schlugen,
von vorn und von den Seiten lugen.
Und wie es passt zur Feenschar,
viel Wasser überall noch war.
Schaum in Bergen oder Streifen,
Räder, Bürsten, Lumpen schleifen.

Nur nicht einen Schalter stellen,
damit nicht etwa Teile schnellen.
Manchmal sieht man wieder Lichter
oder schemenhaft ganz kurz Gesichter.
Man denkt daher es sinkt ein Kahn,
dabei ist es eine Gespensterbahn.
Die Tochter mit dem großen Munde
saß ganz still in unserer Runde.

Als der letzte Schaum verblüht,
wird noch heißes Wachs gesprüht.
Wieder wird die Sicht versperrt
und der scharfe Blick verzerrt.
Und dann fängt wie ein Orkan
die Trockenwindmaschine an.
Das Auto zittert von dem Wind,
als ob wir kurz vorm Abheben sind.

Die Tochter hält sich krampfhaft fest,
bis uns die Geisterbahn entlässt.
Ein Tor geht auf, das Licht wird hell,
und der Rest geht ziemlich schnell.
Die Türen werden endlich aufgerissen,
der Scheibenwischerschutz in Müll geschmissen.
Das Abwischen der Dichtungsstreifen an der Tür
erfordert Handarbeit noch hier dafür.

Deshalb sollte man mit sich ringen
und ein kleines Trinkgeld bringen.
Das nächste Auto rollt von hinten an
wir geben Gas und fahren dann.
Es war nicht schlimm, auch nicht herrlich,
doch dafür war es ungefährlich.
Aber wollen wir Gespenster sehen,
werden wir auf den Rummel gehen.

22.11.2014 © Wolf-Rüdiger Guthmann

Informationen zum Gedicht: Die Geisterbahn

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23.11.2014
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