Das etwas andere Lied von der Glocke

Ein Gedicht von Reiner Rinkes
Von vernunftbegabten Wesen,
Die zu allem fähig sind,
Sei im Folgenden zu lesen,
Jeglicher Gefahren blind.
Und weil sie auch schier
Blind vor lauter Gier,
Stur auf Fähigkeiten setzen,
Die sie völlig überschätzen.

Wie Bäche, Flüsse gradebiegen,
In Stahlbeton neu eingefasst;
So woll`n sie die Natur besiegen,
Sie formen wie es ihnen passt.
Ist alles kein Problem, rein technisch,
Solang Natur sich daran hält,
Und dafür sorgt, dass auch tatsächlich
Hierorts nicht zuviel Regen fällt.
Soweit der Plan, was wir schon ahnen,
Zeigt sich im weiteren Verlauf;
Mit der Natur lässt sich nicht planen,
Es hört nicht mehr zu regnen auf.

Ungeahnte Wassermassen,
Völlig außer Rand und Band,
Kann kein Bach noch Fluss mehr fassen,
Schlucken gleich das ganze Land.
Alles Hab und Gut
Endet in der Flut.
Und kein Ende nimmt das Toben,
Nein, es kommt noch mehr von oben.

Es liegt in der Natur der Sache,
Dass die Natur sich an uns rächt.
Und deutlich zeigt, wer hier der Schwache,
Uns lehrt wer Herr ist und wer Knecht.
Sie musste schließlich reagieren,
Aus reinem Selbsterhaltungstrieb,
Und ein Exempel statuieren,
Weil ihr nichts andres übrig blieb.
Dabei rächt sie sich an uns allen,
Wir werden kollektiv bestraft.
Nicht nur die aus der Rolle fallen,
Auch die vollkommen unbedarft.

Häuser, die im Wasser stehen,
Legen die Vermutung nah,
Dass, auch wenn wir nicht mehr zu sehen,
Hier mal eine Straße war.
Damit ist jetzt Schluss,
Hier ist jetzt ein Fluss.
Und in seiner trüben Brühe
Treiben ein paar tote Kühe.

Die grad noch auf der Weide standen,
Und während sie am Grasen warn,
Ein ziemlich jähes Ende fanden,
Das sie nicht einmal kommen sah`n.
Nun sehen Kühe streng genommen
Beim Fressen sowieso nichts kommen.
Es gibt ja auch nicht viel zu sehen,
Wenn sie auf ihrer Weide stehen.
Auch haben Kühe keinen Plan.
Die Kuh ist dumm, ihr fehlt`s an Wissen.
Eh sie’s begreift, wird sie auch schon
Vom Wasser mit- und fortgerissen.
Und schwimmt samt ihrem Fell davon.
Wie viele Menschen Schaden nahmen,
Auch davon wird zu reden sein.
Ob welche gar ums Leben kamen,
Grad treffen erste Infos ein.
Nach diesen, allerdings sehr vagen,
Weil nichts davon bestätigt ist,
Sind erste Opfer zu beklagen,
Zumindest werden sie vermisst.
Was wir bis dahin nur vermuten,
Bestätigt sich zu spätrer Stund:
Ein Mensch treibt leblos in den Fluten,
Wohl nicht der letzte Leichenfund.
Die aktuellen Opferzahlen,
Verkündet in den Abendnews
Von Frau Miosga unter Qualen,
Frau Slomka gibt den Mitfühlblues.
Die Herren Roth und Kleber scheinen
Beim `Lied vom Tod´ nur kurz vorm Weinen.

Erster sein und live berichten
Kostet Sendezeit und –platz,
Manche gehn so weit, verzichten
Sogar auf die Putin-Hatz.
Immerhin für zwei
Tage oder drei.
Nur die wirklich frischen Toten
Bringen hohe Einschaltquoten.

Wobei das große Interesse,
Geweckt durch Blut- und Tränen-Presse,
Fast schneller als das Wasser sinkt.
Weil’s denen, die nicht selbst betroffen,
Noch einen kennen, der ersoffen,
Persönlich überhaupt nichts bringt.
Zu weit weg von dem Geschehen,
Ist den Wenigsten bewusst,
Was es heißt, vorm Nichts zu stehen,
Und den schrecklichen Verlust
Eines Menschen zu betrauern,
Das haut selbst den Stärksten um.
Es genügt ihn zu bedauern,
Dazu braucht`s kein Publikum.
Kein einziger Grund,
Vor Ort zu erscheinen,
Zu so früher Stund,
Und mitzuweinen.
Sie eilen herbei,
Sie kommen in Scharen,
Vom Leid zu erfahren.
Den Gaffern, Idioten,
Wird reichlich geboten.
Vor nassoffnem Grabe
Das Selfie in Farbe.
Das finden sie geil, beim Fotografieren,
Wo Profis und Lai`n um die Wette schockieren.
Und alles zeigen, ins letzte Detail.
Es geht auch anders.
Lehrt es uns der Nachbar.
Der bessere Deutsche,
Der hilfsbereite.
Steht selbstlos zur Seite,
Schiebt Schlamm aus dem Keller,
Packt an wo es Not tut.
“Und reget ohn` Ende
Die fleißigen Hände“
(Ein Schiller-Zitat
Es passte hier grad)
Die Launen des Feuers mit Worten zu schildern,
Die mich fast verleiten, noch weiter zu wildern
Im “Lied von der Glocke“ – es wird nur nichts draus,
Denn eben kommt endlich die Sonne heraus.
Dazu grüßt vom Himmel schon beinah verlogen
Ein Regenbogen.
Und wir stehen und starrn gebannt
Zu dem trüg`rischen Zeichen dort oben,
Das den Opfern zum Hohn gesandt.
Wenn von Gott, dann von höchstem Int`resse;
Etwas anders sieht es die Presse:
“Sie kann ebenso grausam wie schön sein“
Fällt ihr ganz spontan zur Natur ein.
Denn die ist, wie sie meint,
Des Menschen ärgster Feind.
Und lässt ganz außer Acht,
Dass sie von Gott gemacht.
Ob Natur sich an uns rächte,
Oder sehr viel höh`re Mächte,
Es ist so was von egal.

Herrschte eben noch `Land unter´,
Ging so gut wie gar nichts mehr,
Sind wir fast schon wieder munter,
Als ob nichts gewesen wär.
Alles wieder gut
Bis zur nächsten Flut.
(Die bisher so sicher kamen
Wie im Gotteshaus das Amen)
Der Mensch ist weit davon entfernt,
Dass er aus seinen Fehlern lernt.
Er, der sich dabei selbst gefällt,
Und für der Schöpfung Krone hält,
Sich solang auf dem Throne hält,
Bis wieder mal der Bach anschwellt.
Wenn ihm zum Hals das Wasser steht,
Auf Gott vertraut und baden geht,
Ist er wie der Biker schlauer,
Wenigstens solang er lebt,
Als die andern an der Mauer,
Bis er selber an ihr klebt.
Und begleitet von der Trauer
Viel zu jung gen Himmel schwebt.
Unbekümmert,
Jung an Jahren,
Unerfahren.
Unbekümmert sucht er gar
Die Gefahr.
Der er sich so sinnlos stellt,
Und zerschellt.
(Vom Pastor
Kommt Geschwafel)
Wo sein Hirn hing tags zuvor,
Wird `ne Tafel
Aufgehängt,
Sein` gedenkt.
Täglich, in den ersten Wochen,
Frische Blumen, wie versprochen.
Die, die er so gern gerochen,
Bis wir sie verwelken lassen.
Erst die Blumen, dann verblassen
Bald auch die Erinnerungen
An den armen, dummen Jungen.
Diesen toten
Idioten.
Sicher könnte er noch leben,
Hat nur zuviel Gas gegeben.
Nach rein physikal`schen Regeln
Musst` er segeln.
Und ist prompt im hohen Bogen
Aus der engen Kurv` geflogen.
Schlagen sofort hoch die Wogen,
Ist das Interesse groß.
Sonst ist hier rein gar nichts los.
Diesen ehr verschlaf`nen Flecken
Würde nie ein Mensch entdecken.
Erst wenn Männerträume platzen,
Echte Männer, so wie er,
Enden teils spektakulär.
Kann man von der Mauer kratzen,
Hinterher.
Fragt sich, wer
Reiht sich ein in dieser Runde
Ausgemachter wilder Hunde.
Wen wird es als nächsten fratzen?
Legt sich ab,
Auf die Fresse.
Warnt ein Schild `Gefahr bei Nässe´.
Kostet ihn ein müdes Lächeln.
Sich verwegen
In die Todeskurve legen.
Guten Flug!
(und) ab dafür!
Diese Reise
Endet, leise
Öffnet sich die Himmelstür.
Führt ihn ein `Angel´ ein im Kreise,
Stellt ihn den andern Bikern vor,
Die man schon vor ihm aufgenommen.
Denn hier gilt `Biker (sind) willkommen´,
Verrät ein Schild am Himmelstor.

Wer wollt ihm und seinesgleichen,
Helden auf dem Motorrad,
Überhaupt das Wasser reichen,
Grad in Sachen Himmelfahrt.
Sterben geht meist ehr
Unspektakulär.
Doch es gibt auch Himmelfahrten,
Die sogar dem Himmel schaden.

Womit wir, welch geschickte Wendung,
Bei unsren Wasserleichen wärn;
Gott soll sich, ignorant und fern,
Um diese sinnlose Verschwendung
Von Leben, ja den Teufel schern.
So kritisch ihn die einen sehen,
Ganz ohne jedes Mitgefühl,
Gibt’s andre, die noch weiter gehen:
Er hatte selbst die Hand im Spiel.
Denn grad eines
Kann er gut,
Das ist seines,
Nämlich Flut.
Er ließ ja schon einmal von dort oben
Sinn- und gnadenlos die Wasser toben.
Ach! Wenn’s nur so einfach wäre,
Gott als idealer Täter.
Schließlich steht es so geschrieben,
Bibel - 1. Mose 7
Weil bis heut nicht dementiert,
Spricht, wenn ähnliches passiert,
Mensch, weil es bequem ist, halt
Gern von höherer Gewalt.
Dabei spielt`s auch keine Rolle
Ob er wirklich existiert,
Denn es hat, was ja das tolle,
Auch schon damals funktioniert.
Und bei denen, die ihn glauben
Woll`n, egal ob es ihn gibt,
Kann er sich sogar erlauben
Was er will, er wird geliebt.

Grad so wie der Göttergatte,
Den sein Weib abgöttisch liebt,
Obwohl er, die feige Ratte,
Ihr eins auf die Fresse gibt.
Was sie still erträgt
Bis er sie erschlägt.
Und noch reichlich jung an Jahren
Darf auch sie gen Himmel fahren.

Aus des Vogels
Perspektive
Sieht sie sich im Sarge liegen,
Grad als ob sie friedlich schliefe.
Keine Spuren
Von den Hieben,
Den Torturen.
Dicke Schminke
Überdeckt die äußren Wunden.
Wie ihr Inneres geschunden,
Weiß kein Mensch
Genau zu sagen.
Stumm ertragen,
Totgeschwiegen,
Aufgestiegen,
Himmelwärts.
Selbst der höchste
Aller Richter
Liebt den Schmerz.
Frauen lässt er
Gerne leiden.
Unter Schmerzen Kinder kriegen.
Doch er kann es noch gemeiner,
Unser Vater,
Mit dem eignen,
Einzgen Sohne,
Den wir sehen,
Auf dem Haupt die Dornenkrone.
Aller Welt
Vorgeführet wie zum Hohne.
Öffentlich am Kreuz zur Schau gestellt.
Sagt der Seel`, dass sie entweiche
Aus der so geschundnen Leiche.
Und erhebt, um sie zu trösten,
Seine Mutter zu der größten,
Zu der höchsten aller Mütter;
Mancher Ruhm schmeckt scheußlich bitter.
Nein, für all das gibt es keinen,
Höchstens einen hundsgemeinen
Grund, so grundlos rumzuquälen.
Vieles ließ sich noch aufzählen,
Was wir kalt und herzlos finden,
Und, weil es ihm wohlgefällt,
Mit dem `Lieben Gott´ verbinden.
Dem, der lieber beißt als bellt.
Dass er nach so vielen Jahren
Immer noch so populär,
Ist zwar ziemlich abgefahren,
Kommt doch nicht von ungefähr.
Dort die Intellektuellen,
Religiös obwohl gescheit,
Die sich Gott als Geist vorstellen,
Hier die eher schlichten Leut`.
Brauchen einen
Gott zum Greifen,
Ein`n, der Halt gibt
Wie ein Anker in der Not.
Einen Gott wie er im Buch steht.
Langer Bart und weiße Haare.
Nicht so`n körperloses Wesen.
Selbst der Teufel,
Der vielleicht nicht grad der beste
Freund des Herrn,
Wissen wir seit Goethe, sieht von
Zeit zu Zeit den Alten gern.

Steht der Teufel für das Böse,
Hat uns all das eingebrockt,
Während Gott in stiller Größe
Brav auf seinem Throne hockt.
Einen schönen Gruß
Schickt der Hinkefuß,
Um die Dinge klarzustellen,
Eh wir unser Urteil fällen.

„Erlauben sie, dass ich mich vorstell!“
Buhlt er um unsre Sympathien,
Und hofft, dass wir nicht gar zu vorschnell
Falsch Zeugnis reden über ihn.
Erzählt von Anfangsschwierigkeiten,
Bis `Lieber Gott und Luzifer´
Beinah perfekt im Team arbeiten;
Ist auch schon eine Weile her.
Und dass wir beider Schweinereien
Nur ihm bis heute nicht verzeihen.
Er findet, das erinnert ihn
An jenes Bündnis von Rot-Grün.
Auch dabei nahm nur einer Schaden,
Und wird bis heute abgestraft
Für ihrer beider Missetaten,
Der andre gibt sich unbedarft.
Und spielt den völlig Ahnungslosen,
Weil seine elitäre Schar
Nie wirklich abhing von Almosen,
Noch von Hartz IV betroffen war.
Das sind die grünen Sprücheklopfer,
Die haben was von Gott an sich,
Sie produzieren all die Opfer
Erst mit, dann distanziern sie sich
Davon. Bis bald nur noch die Roten
Für den sozialen Abbau stehn;
Die dann am Ende die Idioten,
Und bei der Wahl zum Teufel gehn.
Ein andres Beispiel lässt erkennen,
Und zeigt wie leicht es funktioniert.
Nur einfach Gut und Böse trennen
Schon ist `ne Pleitebank saniert.
Der Kirche `Bad Bank´ ist die Hölle.
Der Teufel wurde kurzerhand
Mit Gottes Hilfe, auf die Schnelle
Dort ausgelagert, sprich: verbannt.
Wie soll ich einem Gott vertrauen,
Der nur sein Image aufpoliert,
Wie kann ich auf `ne Kirche bauen,
Die mich nicht richtig informiert …?

Von der Politik beschissen,
Von der Bank für dumm verkauft,
Von der Kirche, echt gerissen,
Schon als Kind zum Christ getauft.
Fragt sich, wem es nützt.
Und vor wem es schützt.
Es nützt den Institutionen,
Und es scheint sich auch zu lohnen.

Gesagt, getan!
Die Kleinen, die wir taufen lassen,
Die kriegt der Teufel nicht zu fassen;
Das zumindest ist der Plan.
Die Seel` gerettet, ihr wird nichts passieren.
Nur wie den Schutz des Leibes garantieren?
Ich frag mich, wessen Züge trug
Der Typ, der seine Frau erschlug?
Der Teufel: „Ich bin’s nicht gewesen!
Ich hab genau in dieser Nacht
`nen toten Biker aufgelesen,
Den ich kurz vorher kaltgemacht.
Und außerdem bin ich bei Frauen
Stets einfühlsam, gefühlsbetont.
Ich würd ja mal nach oben schauen,
Ich denk mir, dass der Blick sich lohnt.“
Schon tönt`s empört von höchster Stelle:
„Ich schwör bei mir, ich war das nicht!
Und nur so für den Fall der Fälle:
Mein Alibi ist wasserdicht.
Ich hab da grad das Land geflutet,
Und werd nur, weil es keiner ahnt,
Nicht hinter dieser Tat vermutet,
Solang ich als Natur getarnt.
Die vielen Opfer, zugegeben,
Die machen sich zwar nicht so gut;
Es ist nur, sie gehören eben
Zu einer ordentlichen Flut.“

Während wir zu Grabe tragen,
Biker, Weib und Wasserleich`,
Hören wir die Glocke schlagen,
Zum Geleit ins Himmelreich.
Weil der Ehemann
Heute noch nicht dran,
Macht der Teufel keine Beute,
Und er pfeift auf das Geläute.

Informationen zum Gedicht: Das etwas andere Lied von der Glocke

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05.10.2016
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