Das Erbe kann warten..

Ein Gedicht von Marcel Strömer
Willst bald sterben, sagst du,
so beiläufig,
als würdest du nur den Mantel ablegen
vor einer langen, stummen Garderobe.

Und während dieser Satz noch
wie kalter Rauch im Raum hängt,
tritt sie hervor:
Frau Scherz.
Nicht gerufen,
doch immer bereit,
da zu sein, wenn ein Mensch
zu leichtfertig
vom Ende spricht.

Sie betrachtet dich,
nicht mitleidig,
sondern mit einer eigentümlichen Wachheit,
als hättest du soeben
etwas Wertvolles fallen lassen.
Und sie bückt sich danach,
mit der Ruhe einer Frau,
die genau weiß,
was ein Erbe bedeutet.

„Trag mich ein“, sagt sie,
doch nicht, weil sie dir etwas vermachen will.
Nein – sie meint das Umgekehrte.
Sie will dich beerben:
deinen Rest von Trotz,
deine Müdigkeit,
deine halbfertigen Pläne,
dieses wilde Stück Mensch,
das du noch bist,
auch wenn du es manchmal vergisst.

In ihrem Blick liegt kein Spott,
nur ein scharfes Wissen
um das, was du glaubst,
nicht mehr zu brauchen.
Sie nimmt es an sich,
wie man etwas aufhebt,
das zu schade ist
für den Staub.

Und während sie dort steht,
schmal wie ein Schatten
und doch schwer wie ein Versprechen,
füllt sich der Raum
mit einer merkwürdigen Gewissheit:
Nicht der Tod fordert dich –
sie tut es.

Frau Scherz,
die dir voraus ist,
im Leben wie im Lachen,
und die dich erst beerben will,
wenn du selbst begreifst,
dass du noch längst
nicht fertig bist.

© Marcel Strömer
[Magdeburg, 08.12.2025]

Informationen zum Gedicht: Das Erbe kann warten..

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08.12.2025
Das Gedicht darf unter Angabe des Autoren (Marcel Strömer) für private Zwecke frei verwendet werden. Hier kommerzielle Anfrage stellen.
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