Die Sonnenseite

Ein Gedicht von Wolf-Rüdiger Guthmann
Von unserem Haus ist eine Seite
Mauerwerk enormer Breite.
Anfänglich noch unverputzt,
wurde es für Wein genutzt.
An Haken, Nägeln und Drähten
im Sommerwind die Ranken wehten.

In des Herbstes letztem Schein
las man dann den süßen Wein.
Doch in des Weines zartem Geäst
gab es noch manch Vogelnest.
Und die versteckte Brut zog dann
auch die flinken Mäuse an.

Waren Fenster einst auf Ritzen,
konnten die ins Zimmer flitzen.
Deshalb zogen Strick und Pferde
alle Pflanzen aus der Erde.
Die Sonnenwand war wild gestutzt,
drum hat ein Maurer sie verputzt.

Der Stein war hart, sein Brand war echt,
nur seine Oberfläche war schlecht.
Der Putz hielt lang der Sonne stand,
bis er sich krank am Boden fand.
Der Maurer kam, die Sonne prallte,
als Plastputz an die Wand er knallte.

Zehn Jahre schien die Sonne drauf,
dann blähte sich der Putz groß auf.
Der Maurer sprach, da hilft nix mehr,
drum nahm ich meinen Hammer her.
Von jedem Putz die letzten Flächen
mussten Meißel und Spachtel brechen.

Jetzt ist die breite Sonnenwand
in der Sonne heiß gebrannt.
Ich setze gerade in manchen Stein
einen grünen Plastedübel ein.
Der trägt länger als ihr glaubt,
den Haken, der dort eingeschraubt.

Drähte, die schön plastisoliert,
werden dann kreuz und quer geführt.
Und des Weines winkende Ranken
werden bei der Ernte sich bedanken.
Die Reben nehmen der Wand die Sonne
und tanken selber Lebenswonne.

Die Fenster werden schräg gestellt,
dass jede Maus hinunter fällt.
Und die Vögel in neuen Nestern
fressen Käfer von heute und gestern.
Doch regt sich auf vom Fach ein Mann,
fängt die Geschichte von vorne an.

08.03.2017 © W.R.Guthmann

Informationen zum Gedicht: Die Sonnenseite

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07.03.2017
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