Der Laib Brot

Ein Gedicht von Wolf-Rüdiger Guthmann
„Hier mein Junge, lauf behände,
hol ein frisches Brot für’ s Wochenende!“
So ließ Mutter sich jede Woche hören
und ich ließ mich gerne stören.
Sie drückte Geld und Tuch mir in die Hand
und zeigte auf die Uhr an der Wand.

Täglich um 16.00 Uhr zog unser Bäcker
die Brote aus dem Ofen, heiß und lecker.
Wer dieses Brot zu schätzen wusste,
es unbedingt auch haben musste.
Deshalb stand vor der Ofenstange
meist schon eine kleine Schlange.

Der Bäcker riss die Klappe auf
und dann ging es im Dauerlauf.
Schieber rein und leicht gekippt,
die Brote auf das Holz gewippt.
Schieber mit den Broten ziehen,
prüfen, ob das Werk gediehen.

Schnell mit feuchtem Pinsel streichen,
damit die letzten Falten weichen.
Ordentlich gestapelt im Rollregal,
hatte der Kunde nun die Wahl.
Das heiße Brot wurde ohne Fragen
in das spezielle Tuch geschlagen.

Die Mädchen trugen es wie eine Puppe,
den Jungen war das völlig schnuppe.
Die Einen wärmten sich den Magen,
die Andern wollten’ s auf der Schulter tragen.
Zwei Brote trug man unterm Arm,
da wurde jede Hüfte warm.

Es war nicht nur warm und schwer,
nein, es roch auch noch so sehr.
Der feine Duft die Magenwände reizte,
der erste schon die Finger spreizte.
Er fuhr versteckt mit einer Hand
unter das Tuch bis er sie fand,

die glatte Kruste von dem Brot,
das einstmals nur war Korn und Schrot.
Das stand als Sack ganz stumm,
irgendwo im Keller herum.
Bis der Meister zerschnitt den Strick
und rührte es samt Sauerteigstück,

ließ den Teig ein Weilchen gehen,
um nach der Waage schon zu sehen.
Anhand des Gewichtes Norm
walkte der Teig nun in seine Form.
Mit dem Schaber, ritze, ratze,
bekam der Laib noch eine Fratze.

Daran erkennt bei Prüfung und Not
jeder Bäcker auch sein eigenes Brot.
Schon unterwegs war es ein Meisterstück
und steigerte uns den Appetit.
Rasch das Krustenende abgehoben
und heimlich in den Mund geschoben.

Die Kruste hart, der Teig schön weich,
es schmeckte wie das Himmelreich.
Das Brot noch schwer, der Weg war weit,
da blieb zum Kosten reichlich Zeit.
Der Schöpfer möge uns verzeih’ n,
sollte es denn Sünde sein.

Mutter hat zwar sehr geklagt,
weil das Brot weit angenagt,
doch sie hat es stets verziehen,
da ich als strammer Bub gediehen.

2012 © Wolf-Rüdiger Guthmann

Informationen zum Gedicht: Der Laib Brot

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20.01.2014
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