Das letzte Blatt

Ein Gedicht von Wolf-Rüdiger Guthmann
Unsere Straße ist zum Verlieben und Träumen,
sie besteht nur aus Pflaster und Bäumen.
Früher hier auch Bänke standen,
doch die Autos keinen anderen Platz fanden.
Die Bäume grünen so schön,
im Sommer kann man kaum die Sonne seh‘ n.

Genauso ist es mit dem Mond,
der ständig über allen Wolken thront.
Obwohl er sein Gesicht erhellt,
sein Antlitz nicht durch die Zweige fällt.
Den Verliebten ist es recht,
im Dunkeln schmusen ist nicht schlecht.

Fegt der Herbstwind durch die Stadt,
werden alle Bäume matt.
Die Blätter sich zwar mächtig krallen,
aber schließlich dennoch fallen.
Jeden Montag dann in Säcken steht,
das Laub bevor es ganz verweht.

Nur ein Blatt hat den Trend verpasst,
hat den Zweig zu fest gefasst.
Als alle Blätter auf dem Kompost gebebt,
ist es leise zur Erde geschwebt.
Ich sehe es doch täglich im Straßenverlauf,
aber keiner hebt es nun auf.

Es fliegt und wirbelt, schleift und schwebt,
gerade so als ob es lebt.
Autos haben es im Windschatten gezogen,
es ist in manchen Hausflur geflogen.
Es klebte locker auf flachem Autodach,
und beim Anfahren segelte es ohne Krach.

Es gibt in der Stadt keinen Graben,
der das Laub könnte haben.
Und niemand hat sich mal gereckt,
das Blatt in eine Mülltonne gesteckt.
Trotzdem ist es unserer Straße entkommen,
es ist bei Regen einfach davon geschwommen.

11.12.2016 © W.R.Guthmann

Informationen zum Gedicht: Das letzte Blatt

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10.12.2016
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