Das Märchenskelett

Ein Gedicht von Torsten Hildebrand
Mit starken Händen schuf man sie
Und grub sich tief in Sandstein ein.
Sand trug raus: Esel - und das Ochsenvieh.

Die Jahre vergingen. Licht kam rein.
Dann Märchen, mit ewiger Garantie.
Warm beschienen, mit hellem Lichterschein.

Die Märchen, sie waren, des Nachts allein;
Und standen still, ganz ohne Müh.
Doch nie sieht sie, der echte Mondesschrein.

Dann kam der Tag, wo man entdeckte:
Das Skelett, vermummt in Leder.
Was sich hinter Märchen versteckte.

Wer sie war? Sie roch nach Zeder,
Obwohl sie kaum ein Stoff bedeckte.
War nie zu lösen. Nicht mal später.

War sie wohl jung? Mass fast ein Meter,
Die einen Schlüssel, von sich streckte.
Wie eine Falle! Wie ein Köder.

Der Schlüssel: Schimmelgrünes Kupfer.
Doch wo, ist da das Schlüsselloch?
Und wer war des Kindchens, arger Zupfer?

Man suchte, spekulierte noch.
Nahm Spuren ab, mit einem Tupfer;
Und traurig schien der Tag Mittwoch.

Wie sehr das Kind nach Zeder roch.
Man hörte leise: die Verschnupfer,
Was sich im Echohall verkroch.

Man trug das Kindlein auf der Bahre
Und fand bei Knochen, noch ein Blatt.
Im Blatt da lagen: Braune Haare.

Das Bündel Haare: Braun und glatt,
Geformt zu einem Kreuz der Jahre.
Ein Kirchenbild. Ganz christlich satt.

Wie ein W, so wellten sch die Haare;
Und die Kirche, die erkannt' man matt;
Und die Schublade, am Altare.

Dann in der Kirche: Der Schlüssel passt;
Und quietschend öffnet sich das Fach.
Da: Was Verschnürtes! Aus Wachs und Bast.

Jetzt war die Neugier: Gross und wach.
Ein Wappen gab es, versteckt im Ast,
Mit vergilbten Bildern. - Tannendach.

Wie viele Jahre, lag das Wachs schon brach;
Und verbarg die schwere Last?
Die man am Altar, noch gar nicht fasst.

Man löste, das das Mädchen war:
In einem Häuschen eingemauert,
Sowas versprach ja, Glück im Jahr.

Vom Herz bis Arm war man erschauert.
Doch jedes Rätsel bleibt unklar,
Wenn sich's versteckt und sich bedauert.

Das Mädchen hockte: Hingekauert,
Wer weiss wie lang, im Märchen - Knochensaal?
Und mancher Sandstein lag, als hätter er getrauert.

Bald fand man auch: die Gruft aus Steinen:
Im Kirchenkeller: schwarz verwittert.
Doch gab's nicht Reste von Gebeinen.

Man fand Hufeisen: Drahtumgittert.
Ringelschwänze, von alten Schweinen;
Und Spruchbänder, stark zerknittert.

Ein Alchimist, vor dem die Pest zittert?
War's sein Befehl, Mädchen einzuzäunen.
Das ihn das kalt liess, nicht erschüttert ( ? )

Das Mädchen wurde schlicht begraben,
Mit Buschwindröschen lieb umkränzt.
Und hier und da, noch kleine Gaben.

Im Mondenschein, das Steinkreuz glänzt
Und aus den Wolken Engelsknaben:
Singen Lieder. Unbegrenzt.

Nun ist das Kind, niemehr Gespenst!
Und darf die Ruh' auf ewig haben.
Bis sich das Schicksal neu ergänzt.

Informationen zum Gedicht: Das Märchenskelett

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28.11.2012
Das Gedicht darf unter Angabe des Autoren (Torsten Hildebrand) für private Zwecke frei verwendet werden. Hier kommerzielle Anfrage stellen.
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