Fragen einer Gewerkschafterin an Sisyphos

Ein Gedicht von Eva Pietsch
Das ist ein seltsames Tageswerk:
Du rollst eine steinerne Kugel zu Berg.
Am Abend rollt sie wieder zurück.
Tags drauf versuchst du erneut dein Glück.
Man tut ja vieles für sein Geld,
auch manches, das einem nicht gefällt,
was man so genau nicht nimmt,
solange die Bezahlung stimmt.

Als Gewerkschafterin frag’ ich dich, Sisyphos:
Wie viel zahlt dir denn dein Boss?
Zahlt er dir denn eigentlich schon
den gesetzlichen Mindestlohn?
Genügt die Anzahl an Urlaubstagen
dem Gesetz und deinem Behagen?
Erhältst du auch ein Urlaubsgeld?
Wird dir das Arbeitsmaterial gestellt?
Oder will man dich gar zwingen,
die Kugel selber mitzubringen?
Stehen in deinem Arbeitsvertrage
regelmäßig zwei freie Tage?
Erhältst du am Sonn- und Feiertag
einen Wochenendzuschlag?
Hältst du die vorgeschriebene Pause ein
und nimmst dann deine Jause ein?
Wird dem Arbeitsschutz genüge getan?
Schickt man dich mit Schutzkleidung bergan?

Sicher zahlst du selbst n’ne Masse
Beitrag in die Krankenkasse.
Doch zahlt man zu deinem Wohl und Heil
auch den vorgeschriebenen Arbeitgeberanteil?
Und überrollt dich mal ein steinerner Ball,
erhältst du dann Lohnfortzahlung im Krankheitsfall?

Gibt dein Boss auf all das nicht acht,
zieh’ ruhig eine Kündigung in Betracht!

Informationen zum Gedicht: Fragen einer Gewerkschafterin an Sisyphos

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17.08.2023
Das Gedicht darf unter Angabe des Autoren (Eva Pietsch) für private Zwecke frei verwendet werden. Hier kommerzielle Anfrage stellen.
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