Was ist der Tod?

Ein Gedicht von Lothar Schwalm
Du bist gegangen, nicht gerade sanft,
aber kurz entschlossen und bestimmt,
hast Dich für Werner entschieden,
Deinen allerliebsten,
das kann ich verstehen,
auch wenn es mir manchmal schwer fällt,
damit umzugehen,
heute ist Allerheiligen,
das Gedenken der Toten,
Du bist noch nicht einmal beerdigt,
und doch denke ich an Dich – jeden Tag
Dein Körper ruht noch auf dieser Welt,
friedlich und grau,
als ein Haufen Asche,
den wir übermorgen verabschieden,
der heiligen Erde übergeben,
es wird meine erste Beerdigung
in meinem Leben sein,
ich weiß nicht, wie das sein wird,
weiß nur, ich habe keine Angst,
vielleicht freue ich mich,
so viele liebe Menschen wieder zu treffen,
Menschen, denen Du wichtig warst,
denen Du etwas bedeutet hast,
vielleicht werde ich tief traurig sein
und heulen wie ein Schlosshund,
ich weiß es nicht,
werde neugierig auf mich selber sein
und erleben, wie es sein wird,
Deinen Körper zu verabschieden,
Deine Hülle zu Grabe zu tragen,
Dich zu beerdigen,
Erde zu Erde,
Asche zu Asche,
Staub zu Staub,
Du gehst zurück –
in die Natur,
dieser Gedanke hat etwas Tröstliches für mich,
zumal Du die Natur so geliebt hast,
die Natur und das Leben –
manchmal auch.
Zurzeit ertappe ich mich immer wieder dabei,
wie ich mich frage:
Was ist das Leben?
Was ist der Tod?
Was ist der Unterschied?
Ist nicht alles dasselbe?
Der Tod… der Tod…
Der Tod ist nichts ohne das Leben,
er hängt quasi am Leben,
ohne das Leben gäbe es keinen Tod
und umgekehrt!
Keiner hat eine Bedeutung ohne den anderen,
sie gehören zusammen,
ja, bedingen einander:
ein riesiger, endloser Kreislauf der Materie,
und irgendwie ist es gut zu wissen,
dass wir ein Teil davon sind,
ein Teil aller Materie in der Unendlichkeit.
Und so unendlich alle Materie scheint,
so unendlich der Kosmos und auch die Zeit sich geben,
so endlich ist das Leben auf diesem Planeten.
Die Körperlichkeit endet mit dem Tod,
doch die Seele lebt weiter,
zumindest in meiner Vorstellung,
und diese Vorstellung ist etwas sehr Schönes,
hat etwas Wertvolles,
Beruhigendes, Tröstendes,
die Seele lebt fort,
wandert nach einiger Zeit des Ausruhens
in einen anderen Körper,
um einem anderen Menschen Leben einzuhauchen,
ihn zu beseelen.
Angesichts dieser Vorstellung
verliert der Tod für mich an Bedeutung, an Gewicht:
Die Zellen und Moleküle Deines Körpers
werden zu neuer Lebensenergie
und erwachen vielleicht eines Tages
in einer Rose, einer Margerite
oder einem Gänseblümchen,
oder aber in einem Marienkäfer,
und wir können uns von neuem
an Dir und Deiner lebendigen Seele erfreuen…


ls011109

Informationen zum Gedicht: Was ist der Tod?

1.481 mal gelesen
-
27.07.2011
Das Gedicht darf nur mit einer Erlaubnis des Autoren kopiert oder veröffentlicht werden. Jetzt Anfrage stellen.
Anzeige