Nackt

Ein Gedicht von Lothar Schwalm
Ich bin nackt
und fühle mich frei,
frei, frei, frei,
unendlich frei,
so ganz ohne Klamotten,
ohne Hülle,
bloße Haut
um mich herum,
überall an mir,
Haut und Haare,
und sie wehen im Wind,
meine Haare,
der um meine Beine streicht,
meine Hüften, meinen Bauch,
meine Brust und meine Arme auch,
ich strecke sie aus in den Wind,
um nach Luft zu greifen,
greifen, greifen,
wann werde ich begreifen,
dass ich schön bin?
So wie ich bin!
Ich springe nackt ins Meer,
esse mit den Fingern,
freue mich an mir
und meinem Geruch,
meinem Körpergeruch,
er ist einzigartig,
mein Körper,
mein Geruch,
niemand auf dieser Welt
sieht so aus wie ich und
niemand auf dieser Welt
riecht so wie ich,
das finde ich toll!
Manchmal, da stelle ich mir vor,
wie es wäre,
wenn ich mein Leben
nackt verbringen könnte:
Keine Unterhosen mehr,
keine Strümpfe,
keine engen Hemden,
im Sommer barfuß durch die Stadt
an jeder Straßenecke eine Dusche,
um sich abzukühlen,
und die Sonne trocknet mich wieder
in wenigen Minuten,
Luft, Sonne, Wind und Wetter,
direkt auf meiner Haut
und im Winter wächst mir ein Fell,
damit ich nicht erfriere
vor lauter Kälte,
ein Menschenpelz sozusagen,
warm und wohlig weich,
damit man sich auch im Winter
streicheln und
aneinander kuscheln kann,
um diesen Pelz dann im Frühjahr
wieder abzuwerfen
und nackt durch die Sonne zu spazieren,
splitterfasernackt
durch Wiesen und Wälder,
Flüsse, Fluren, Felder
durch Blumen und Auen,
um aufzutauen und zu sitzen
zusammen zu schwatzen und zu schwitzen
Perlen aus Poren
lugen hervor ganz unverfroren
sorgen für Kühlung unter der Haut,
wehe, wenn ihr euch nicht traut!
Kommt herbei und lasst mich schwitzen,
lasst mich nicht im Trockenen sitzen!
Dann stapfe ich durch weißen Sand
entlang am Meeresstrand,
unterhalte mich mit Muscheln,
die in den Wellen kuscheln,
höre die Botschaften der Möwen
und beobachte Seelöwen,
um von ihnen das Schwimmen zu lernen,
schade, dass ich keine Schwimmhäute habe
schade, dass ich keine Flügel habe,
mit denen ich durch die Lüfte segeln könnte,
wie ein Pelikan oder Albatros,
aber dafür habe ich mich
und meinen Körper,
meinen wundervollen, schönen,
einzigartigen Körper,
der so vieles kann,
auch wenn er vieles nicht kann,
so bin ich doch sehr glücklich und zufrieden
mit mir
und wünschte mir
ich hätte den ganzen Tag Zeit,
Zeit für mich,
um mich stundenlang zu betrachten,
wenn ich nackt bin


ls120803

Informationen zum Gedicht: Nackt

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25.07.2011
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