Leichenfledderei

Ein Gedicht von Klaus Enser-Schlag
Die alte Krause ist gestorben,
lag tot im Flur, schon recht verdorben…
Zwei Wochen lang fiel es nicht auf,
so endet mancher Lebenslauf…

Erst, als so süßlich es gerochen
hat man die Wohnung aufgebrochen,
man hat Frau Krause nicht vermisst,
wie das recht oft in Städten ist…

Die Nichte kam – nach 13 Jahren
mit recht dramatischem Gebaren.
Mit falschen Tränen im Gesicht,
schrie sie sehr laut: „Ich fass‘ es nicht!“

Auch der Vermieter war zugegen
und konnte sich recht rasch erregen:
„Wie konnte das denn nur passieren,
ich muss die Wohnung renovieren!
Mein Gott, das wird bestimmt sehr teuer!“
Der Mensch hieß Rainer Ungeheuer…

Die Nichte hatte unterdessen
die falsche Trauer schon vergessen.
Frau Krauses Möbel sind nicht schlecht,
der Perserteppich wirklich echt…
Und da! Diese Barock-Kommode
ist heute wieder groß in Mode…

Doch hier, im Schrank, Frau Krauses Kleider,
die kann man nicht gebrauchen – leider!
Herr Ungeheuer weiß schnell Rat:
„Ein bisschen hätt‘ ich eingespart,
wenn Sie mir das hier überlassen,
ich könnte es verkaufen lassen,
am Flohmarkt kriegt man alles weg,
so dient es einem guten Zweck!“

Bald ist das Hab und Gut verteilt,
die Nichte hat nichts übereilt.
Und von dem Erbe ihrer Tante
macht sie ´nen Trip nach Alicante.
Frau Krauses Grab ist anonym,
nicht eine Blume wird je blüh’n…

Informationen zum Gedicht: Leichenfledderei

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14.11.2014
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