Grüne Tinte

Ein Gedicht von Heinz Säring
Siegfried, Mamas einz'ger Sohn,
soll in die Sowjetunion,
zur Montage, ganz nach Plan,
da kommt nicht gleich jeder ran!

Mutter muss alleine bleiben -
"Wirst du mir auch fleißig schreiben,
dass ich höre, wie's dir geht,
und wie sonst die Lage steht?"

Doch es war wohl so gewesen,
dass die dort die Briefe lesen!
Besser überlegt man dann,
was man wirklich schreiben kann.

"Nicht, dass man dich dort verhört,
und du wirst noch eingesperrt!
Sicher geht dabei nichts schief,
schreibst du nie was negativ."


Wir sind hier im Zeitenalter
Tintenfass und Federhalter.
Kugelschreiber war'n in Sicht,
doch verbreitet? Hier noch nicht.

Einen Einfall hat die Frau:
"Hör, wir machen das ganz schlau,
schreibst du Wahres, ganz legal,
dann in Blau - das ist normal.


Aber liegt was schlecht und schief,
schilderst du's als positiv,
wo ich dann im Bilde bin,
wenn du wählst die Tinte Grün!

Also hast du gut gehört:
grün bedeutet umgekehrt!
So kannst du mich informieren,
und es wird dir nichts passieren."

Sonst gibt's nicht viel zu besinnen,
denn er wird ganz gut verdienen,
und es ist auch nicht der Gipfel,
stets an Mutters Schürzenzipfel.

Als der Abschied kommt heran,
- der Transport geht mit der Bahn -
weist sie ihn noch mal draufhin:
"Und vergiss nicht: blau und grün!"

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Mutter wartet schon drei Wochen,
und er hatte doch versprochen,
ihr zu schreiben nach zwei Tagen.
Ach, was Söhne halt so sagen!

Endlich nach vier Wochen dann
kommt ein kleines Briefchen an.
O, wie freut sich da die Frau -
und die Schrift ist ganz in Blau!

Liebe Mama, mir geht's gut
und ich habe frohen Mut,
denn ich find es hier ganz toll,
habe nie die Schnauze voll!

Frühstück gibt es nie mit Reis,
und der Kaffee ist schön heiß,
Arbeitsstelle ist nicht weit,
man hat soviel freie Zeit.

Abends geht man in die Bar,
wo ich nun fast täglich war,
hübsche Mädchen, wirklich Rasse,
auch das Bier ist große Klasse.

Fängt die Schlafenszeit dann an,
rattert keine Straßenbahn,
und die Fenster sind schön dicht,
Pfuscherei, die gibt's hier nicht.

Und die Stadt ist eine Zier,
viele Läden gibt es hier -
wo ich alles ganz schnell finde - - -
ausgenommen grüne Tinte.

Informationen zum Gedicht: Grüne Tinte

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12.07.2011
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