Gemse 8

Ein Gedicht von Norbert Westermayer
Ganz hoch droben auf den Bergen,
bei den hundertsieben Zwergen,
wo auf kahlen Felsenspitzen
Alpendohlen probesitzen,
wo keine Mountainbiker bremsen -
da gibt es sie: die edlen Gemsen.

Wunderbar sind diese Tiere,
der Beine haben sie gar viere -
nein, pardon, man spricht von Läufen !
Sie leben, wo sich Felsen häufen,
üben sich dortselbst im Klettern,
tun dies auch bei allen Wettern.

Es heißt, dass sie auf schmalsten Stufen
sicher stehn auf ihren Hufen,
dass noch in steilster Felsenwand
sie finden einen sichern Stand
und dass sie selbst an solchen Orten
hüpfen kühn von hier nach dorten.

Dann wär der Gamsbart noch zu nennen,
etwas, das so manche kennen,
obwohl - es ist doch wie verhext -
derselbige auf Hüten wächst,
worauf er meist recht heftig schwankt.
Wie ist der Bart dort hingelangt ?

Nun ja, ein Wunder der Natur...
Man hört doch nichts von Gamsrasur.
Alsdann - es gibt sie noch, die Mythen !
Warum denn nicht bei Gamsbarthüten ?
Wobei man doch die Neugier spürt:
Wie wirkt der Gemsenmann rasiert ?

Ergänzend wäre noch zu sagen,
sollt jemand nach den Hörnern fragen,
diesen krumm gebognen, spitzen,
die auf Gemsenhäuptern sitzen,
so hebt belehrend man den Finger:
Kruken nennt man diese Dinger !

Solchermaßen informiert,
tief innerlich man Neugier spürt,
die sich mit Interesse paart:
Wie sind die Tiere denn behaart ?
Eventuell denkt man ganz schnell:
Sie haben wohl ein dickes Fell !

Ähem...man weiß es nicht genau.
Der beste Weg, auf dass man schlau
darüber Auskunft geben kann:
Man gucke sich die Gemsen an!
Also bucht man eine Tour -
ein Gamserlebnis mit Natur !

Eine Gruppe, Stücker acht,
hat sich dann auf den Weg gemacht,
welcher mit viel Schweiß und Möh
führt von unten in die Höh
auf die Hütte Oberbichl
zum berühmten Gemsen-Michel !

Die gemischten Damen/Herr`n
wollten sich sogleich beschwern
weil der Weg - sehr wadlstark -
hätt sie strapaziert ganz arg !
Und abgesehn von roten Nasen -
sie hätten an den Füßen Blasen.

Der Gemsen-Michel, wortkarg, kantig,
reagierte drauf gleich grantig,
sagte unwirsch: "Gemse 8..."
Verschwand mit einem "Dann gut Nacht."
Die Damen/Herren dann, vereint,
rätselten, was wohl gemeint.

Früh, sehr früh, zur halben Nacht,
da hört man`s rufen: Gemse acht !
Die Damen/Herren kommen schnell,
finden sich vereint zur Stell
und - Fragezeichen in den Augen,
sieht man sie nach den Felsen schaugen.

Doch kurz nur wurde frühgestückt,
und darauf sind abgerückt
Damen/Herren im Gewühle,
fröstelnd, weil es noch recht kühle,
und gänzlich ohne Dulliöh
in Richtung auf die Bergeshöh.

Mühsam tritt sich`s auf den Steinen,
Muskelkater in den Beinen,
schlafverloren noch der Blick...
Der Nebel lichtet sich zum Glück,
und unterwegs zum Hohen Hartung
steigert sich dann die Erwartung.

Schwierig wird der Weg und steil.
Brauchen wir denn nicht ein Seil ?
Fragt beklommen Doktor Selle
an einer ausgesetzten Stelle.
Worauf der Führer trocken lacht
und kommentiert kurz: Gemse acht.

Allenthalben wird sinniert:
Werden Gemsen numeriert ?
Warum? Wozu? Und überhaupt -
keiner, der das richtig glaubt.
Doch das will auch keiner sagen,
niemand traut sich recht zu fragen.

Also geht es zügig weiter,
Sonne scheint, der Tag wird heiter.
Felsen ragen, Schluchten dräuen...
Wo sind die Tiere, diese scheuen,
derentwegen Herren/Damen
hier auf steilen Pfaden kamen ?

Jeder, der was sehen will,
hält sich mucks- und mäuschenstill.
Alle gucken nun im Reigen,
ob sich wo die Viecher zeigen,
für die man sich so hart bemüht.
Aber ach - es ist verfrüht.

Höher! Vorwärts! Nun im Schweiße,
denkt sich mancher: So ne Weiße
wäre nun zu Nutz und Frommen
für ne Pause hochwillkommen !
Worauf es plötzlich oben kracht.
Es ruft der Führer: Gemse 8 !

Alle Blicke rasen hoch,
erwartungs-, hoffnungsvoll - jedoch:
allgemeines Schulterzucken
keiner sieht ein Tier mit Krucken.
Nur ein Felsklotz donnert runter.
Gemse 8 ! sagt Michel munter.

Rundherum nur Unverständnis.
Was hat dies für ein Bewendnis ?
drücken die Gesichter aus.
Der Michel macht sich nichts daraus.
Gemse 8, sagt er. Und schweigt,
während er nach oben steigt.

Alles guckt und ist im Fieber !
Kommt die Gemse nun, mein Lieber ?
Und ist es wirklich Nummer acht ?
So hat sich mancher auch gedacht.
Und Nummer drei und fünf und sieben -
wo sind die denn abgeblieben ?

Doch jeder kennt hier das Gesetz:
Suchst du Gemsen? - Kein Geschwätz !
Ein falscher Laut, und schon verloren -
die Tiere haben feine Ohren.
Die allgemeine Spannung steigt,
ob sich bald eine Gemse zeigt ?

Fragend-finstre Blicke ziehn
Richtung Gemsen-Michel hin.
Alle sind gefolgt ihm willig -
und die Tour, die ist nicht billig !
Fragen drängen hoch mit Macht -
der Michel flüstert: Gemse acht !

Da platzt Herrn Meiermann der Kragen,
und man hört ihn - heftig! - sagen,
denn er kann sich nicht mehr bremsen:
Wo zum Teufel sind die Gemsen ?
drauf Gemsen-Michel unbewegt
den Finger auf die Lippen legt.

Geflüstert macht das Wort die Runde:
Für die nächste halbe Stunde
brauchen wir uns nichts zu denken -
können uns die Gemsen schenken.
Absolute Ruhe - hört !
Sonst wird das Bergwild nur verstört.

Und mit Vorsicht und mit Schweiß
geht`s weiter hoch, wo Edelweiß
wächst an Stellen, die gefährlich,
Blicke richten sich begehrlich !

Meiermann, jetzt enerviert,
fühlt sich mächtig provoziert,
rennt zum Führer, stolpert plötzlich -
ein Moment, der ganz entsetzlich !
Und Gemsen-Michel, locker-munter,
sagt: Gemse 8 - sonst falln Se runter....

Informationen zum Gedicht: Gemse 8

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14.05.2016
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