Gedicht

Ein Gedicht von Georg Babioch
Ich nenne dieses Gedicht einfach "Gedicht",
Weil es mich den gesamten Vormittag schon so herzlich,
so wärmlich, warm und kühl und wie auch immer sticht.
Ich gebe diesem Gedicht überhaupt kein Ettikett;
Denn ich sage Euch, ich schreibe es auf, denn ich wett,
Ihr selber werdet bald einen Eindruck gewinnen,
Und darauf eigene Verse und Reime vor euch hinspinnen.

Diese Nacht habe ich an Texten geschrieben und wundersames uraufgeführt,
Habe weder Eltern gekannt, noch Freunde und wie gesagt,
Ettiketten verspürt,
Denn es tobte und wrang sich die bloße Natur
In meiner jämmerlichen einsachtundsiebziger Statur.

Ihr wißt es doch: Ich stöhne über euere Einfältigkeit,
Welche euch lachen macht über das Wort des Glücks und der Seligkeit;
Doch schon während des Lachens packtet ihr euere Spaten wieder aus,
Und sagtet und rieft: Nun ziehen wir alle wieder hinaus.

Hattet das "Hallo" und "Hurra" auf eueren Lippen,
Bestiegt den Feind, bestiegt fremde Frauen, erobert
fremde Klippen,
Bestiegt ein Nest, einen Ort, Stadt um Stadt
Und teiltet auf und mordete danach: "Dieser hat nichts,
aber dieser hat!"

Schon näherte ich mich euerem Graben: "Eingraben, eingraben!"
Hörte ich es von allen Seiten rufen: "Eingraben, wie die fleissige Biene in Honigwaben!"
Doch schmeckt es süßlich bei weitem nicht, warum und weshalb es euch so sticht,
Andere Menschen zu peinigen,
Um euere schäbige Seele mit fremden Blute zu reinigen.

Nachdem ich nun dies an euch so wonniglich süß festge-
stellt habe,
Bin ich selber verkehrt, darum auch ich mich nun an
fremden Wunden labe,
Darum vermag ich nun in mir fremden Schmerz genießen,
Wie frühlingshaft eben fremde Wunden und Schmerzen
sprießen.

Zurück vom Graben kehre ich zu meiner Geliebten zurück,
Und gewinne der Realität ein wenig ab, Stück für Stück;
Denn ihre zärtlichen Worte richten meinen durch euch
sämlich verlogen gekrümmten Leib wieder auf,
Erst dann vermag ich es und stieg wieder auf sie auf.

Wir verbringen den gesamten Vormittag, so und so und wieder so;
Sie spricht liebe Worte zu mir und ich gebe ihr ein
zärtliches "Hallo",
Mit ihren vielen Lippenpaare, und ich zähle die Male,
Wie wir es trieben, in ihrem kleinen gardinen Bettensaale.

Und nun kehrte ich zu meiner Erinnerung zurück und gab ihr einen Streich;
Dieser war nicht toll, nicht voll, sondern gänzlich warm und überaus weich;
Ich meine schon, daß sie ihn genossen hatte,
Denn plötzlich starrte sie auf und sagte: "Gestatte!"

Und sodann gab sie sich mir endlich gänzlich hin und so
zu erkennen,
Daß meine Augen begunnen zu tropfen, zu flennen,
Daß ich sie nicht mehr aufzuhalten vermochte,
Daß mein Herz zu schlagen begann und überaus pochte.

"Ich liebe dich sehr", sagte ich ihr sofort und überaus
passend,
Schon halb von ihrem Busen, ihrem Körper, ihren Schenkeln ablassend;
"Ich liebe dich sehr", sagte ich ihr noch ein letztes Mal,
In ihrem kleinen gardinen Bettensaal.

Und abermals überkamen mich meine Erinnerungen,
Sie kehrten zurück, sie klangen mir und sungen;
Sie sprangen über mich her und ich ergriff den Spaten,
Der über ihren Kopf zerschellte, den wir für einen
ganzen Vormittag gemeinsam hatten.

Und so mag eine grausige Erinnerung einen Körper ergreifen,
Um einen anderen mit Leid, Schmerz und Pein zu überstreifen,
Um ihn gegen eine selbst erlebte Marter zu schlagen,
Um die Liebe noch mit dem Tod zu überragen:

Früher hätte ich euch noch zu sagen:
"Laß uns gemeinsam, so vieles gemeinsam wagen!"

Informationen zum Gedicht: Gedicht

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20.07.2012
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