Die Besucherin

Ein Gedicht von Maria L. Späth
Sie stand an meinem Gartenzaun,
die junge Frau, fast noch ein Kind.
Ihr weißes Kleid wehte im Wind.
Ich lud sie ein, herein zu schau'n.

Mit leisem Gruße trat sie ein
und ging die Wege wie entrückt,
von manchen Stellen ganz verzückt,
als sollten sie ihr Heimat sein.

Beim alten Grabstein blieb sie steh'n,
den eine Rose dicht umfing,
die voller dicker Knospen hing.
Der Stein war drunter kaum zu seh'n.

Sie las die Inschrift mühelos,
die fast nicht zu entziffern war,
und auch Geburts- und Todesjahr,
bewachsen schon mit grünem Moos.

Sie strich darüber mit der Hand.
"Das ist ein schöner Ruheplatz",
sie lächelte bei diesem Satz,
als sie, so wie sie kam, verschwand.

Ich war um Fassung noch bemüht.
"Hat mich ein dunkler Spuk genarrt?"
Und doch, auf wundersame Art,
der Rosenstrauch war voll erblüht.

Informationen zum Gedicht: Die Besucherin

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05.09.2014
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