da will ich auch noch hin

Ein Gedicht von Lothar Schwalm
vorsichtig schleichen sich mädchenhafte wesen
engelsgleich durch das gebüsch.
läuse und buben tun es ihnen behutsam gleich,
immer darauf bedacht, kein leben zu verletzen.
der warme waldboden knistert bisweilen
unter den achtsamen schritten der engelswesen
und lausbuben.
moose richten sich unbekümmert wieder auf.
farnblätter gleiten beiseite, um flinken füßen
flugs den weg freizumachen.
der abendwind geht kaum,
dafür ist das unterholz zu dicht.
aus allen sechs himmelsrichtungen strömen sie herbei,
um sich in der nahenden dämmerung zu versammeln.
am großen see des waldes treffen sie sich,
finden zueinander, um ihre lebensbejahende stimmung
in einem jahrmillionen alten, nächtlichen ritual
in die welt hinauszutragen.
einmal im jahr zur mittsommernacht kommen sie zusammen
aus allen teilen des großen alten waldes,
um das leben zu feiern und weiterzugeben,
auf dem letzten der sieben urkontinente,
der noch mooswälder sein eigen nennt.
überall sonst waren die urigen mooswälder verschwunden.
warum, das konnte niemand sagen.
und mit ihnen verschwanden auch immer mehr
die einst so zahlreichen und wundersamen geschöpfe
der wälder.
doch heute nacht kommen sie zusammen,
um das fest des lebens zu feiern.
als die dämmerung hereinbricht,
sind es hunderte und aberhunderte waldwesen,
weiblein und männlein, die sich am see versammelt haben.
sie wiegen ihre leiber sanft hin und her,
wie zu einem unhörbaren takt.
noch ist alles ruhig.
als der mond den himmel erobert,
gesellen sich tausende und abertausende irrlichter
zu den geheimnisvollen waldwesen
und füllen mit magischem glanz
die sphären über dem wasser.
durch den leichten wind scheint der mond
auf der oberfläche des sees zu tanzen.
und auch die irrlichter spiegeln sich im wasser
und verzaubern die große lichtung
auf ihre ganz eigene weise.
nach einer weile beginnen alle wesen
sich an den händen zu fassen.
abwechselnd stampfen sie mit dem
linken und rechten fuß auf den boden.
die vibrationen rings um den see versetzen das wasser
in leichte wogende bewegungen.
ein leises summen wird erst hörbar,
dann immer lauter.
vier lange laute klingen durch die nacht
und wiederholen sich dabei:
aa-oo-ee-a, aa-oo-ee-a kann man sie singen hören.
ihr gesang ist gleichförmig und setzt sich endlos fort.
als ihr gesang gleichzeitig wie tausend und wie eine stimme klingt,
lösen sich ihre hände voneinander
und beginnen ineinander zu klatschen.
sie alle klatschen den rhythmus der stampfenden füße
und unterstreichen auf traumhafte weise
des gesang des aa-oo-ee-a.
er ist noch weit bis in die ferne zu hören.
gleichmäßig und ohne jede eile singen sie
das lied des lebens, ihres lebens.
der geist ihres seins verbindet sich mit dem geist der natur,
wird eins mit ihr. so singen und tanzen sie
bis in die frühen morgenstunden hinein.
allmählich legen sie sich nieder, um zu schlafen.
jetzt bestäuben die irrlichter ihre körper
mit der mystischen aura des wassers des sees des lebens.
so wird neues leben in ihnen wachsen
und vielleicht werden sich manche der kleinen wesen
im nächsten jahr zur nächsten mittsommernacht
mit ihren müttern oder vätern auf den weiten weg
zum wasser des lebens machen,
um dieses uralte ritual fortzuführen.
dann werden sie beim mondlicht alle wieder miteinstimmen
in das magische aa-oo-ee-a…

ls25092012

Informationen zum Gedicht: da will ich auch noch hin

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25.09.2012
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