D. Der Geselle

Ein Gedicht von Georg Babioch
Das derbe Leben und Politisieren von Gesellen und Knechten des frühbürgerlichen Zeitalters der Stadt:
Es arbeiten vier Gesellenin einer Werkstatt eines Meisters, der im ganzen Ort und weitem Lande der Modernste ist: Er ist Küfer, Radbauer, Zimmermann und Schmied. Erst später kommt er auf die Idee, und zwar nach einem Gespräch und Verhandlungen mit einem reichen
Kaufmann, seine Handwerksmeisterei zu einer Manufaktur
zu erweitern. Wie der Geschichtskundige weiß, ist hierin, im Zusammenlegen unterschiedener Handwerke unter ein Dach, eine Entstehungsursache der dann größeren Handwerksmanufaktur zu finden. Die vier Gesellen allerdings noch sehr unbekümmert, beginnen hier einen derben Redeschwung, Fluch über ihr Sein im Besonderen und Allgemeinen unter dem Gewölbe Gottes der Reichen. Schon bald schließen sie sich einer strengen Bruderschaft an und greifen in die politischen Kämpfe des 14. Jahrhunderts und folgenden ein. Uns ist es nur möglich, einen sehr kleinen Ausschnitt der Lebensart des spätmittelalterlichen Menschen aufzuzeigen. Und der kundige und phantasiereiche Leser wird angehalten, die folgende Geschichte zu vervollständigen und zu erweitern.

Martin:
Ich, Freunde, bin ein Geselle,
Am Kopfe schon eine Delle,
Der Meister in der Schwelle,
Verschafft mir eine Kelle
an meinem Kopfe,
Die ich blutwunden mit Mull schon stopfe.

Thomas:
Ich nehme den Hammer in meine Hand,
Mit diesem Hammer der Geselle im Land,
Ist der wirkliche und wahre große Meister,
Jede andere Aussage: Fade, Lüge, Kleister;
Der Geselle sich schon in Bruderschaften trifft,
Und gelegentlich in Bruderschaften einen Joint auch mal kifft,
Aber nach allen gestrengen Regeln und Gesetzen
Darüber disputiert, wie Meister unsere Interessen verletzen.

Robert:
Achtung Schritte, der Meister eilt,
Er gerne unter seinen Gesellen verweilt,
Er immerzu selbige Worte spendet
Und uns beständig das Wort im Munde umwendet;
Achtung Schritte, der Meister eilt!

Der Meister:
Meine Herren, heute darf ich es euch endlich sagen:
Seid endlich still, niemand darf etwas fragen!
Ich befehle und damit jetzt und für immer basta,
Und daß mir niemand mehr muckt, wie denn und was da!
Ich befehle, wie es halt so ist,
Damit auch ihr endlich um meine Befehle wißt.
Martin, komm her, du derber Trottel,
Und wisch hinweg von deinem Latz den Zottel,
Und wisch auch den Wisch vom Latz doch weg,
Und wisch deinen Bart mit der Zunge sauber leck!
Und Thomas, du Galgenjunge,
Was führst du schon wieder auf der Zunge?
Hast du wieder den Schalk im Nacken,
Am Nacken der Schalk wird dich packen,
Oder den Schalk ich werde dir knacken.
Robert, was hälst du den Hammer so und so,
So brennt meine Werkstatt bald lichterloh,
Wenn lauter falsche Funken schlagen,
Welche sogleich in das Holz des Hauses hineinragen.

Ein Sprecher tritt auf die Bühne, spricht folgende Worte, währenddessen die anderen sich im Hintergrund fast lauthals streiten.

Martin, Thomas, Robert und ein vierter Mann,
Trafen sich einst beim Meister und irgendwann,
Fragten sie ganz leis um Arbeit nach;
Es war damals bei Koblenz, in Andernach.

Der Handwerksmeister besonnen, bedacht,
Hat die vier Gesellen gewiß nicht verlacht,
Fragte nach was sie pro Tag haben wollten,
So daß ihnen drei Groschen pro Tag entgegenrollten.
Die vier waren nun schon recht zufrieden,
Zu lang nämlich waren sie gewandert, wohin und wie denn
Sollten sie woanders im späten Mittelalter,
Finden einen neuen Handwerkskammerverwalter.
Sie arbeiteten zwöf Stunden am Tag
Bis es ihnen quer und krumm in ihren Mägen und Gliedern lag;
Wöchentlich träumten sie von einem blauen Montag
Oder damals schon von einem freien Sonntag;
Täglich spendete der Meister ein üppiges Mittagsmahl,
An Groschen in der Tasche allerdings gebrach es ihnen an der Zahl,
Darum traten sie ein in Bruderschaften der Gesellen,
Um als Gesellen sich in Bruderschaften gegen Meister aufzustellen.
Diese nämlich lagen in einem ewigen Streit,
In der gesamten Stadt, im Lande weit und breit;
Überall dieselben ehren Angelegenheiten,
Den Klassenkampf gegen Meister und Patrizier auszuweiten,
Der Patrizier, wie er zu seinem Geld gelangt und dieses gewonnen,
Währenddessen das Glück der kleinen Leute zerronnen, Wie er zu seinem Geld gelangt, möchte ich nun verraten,
Doch jeder weiß: Gesellen hämmern, schlagen und drahten,
Fertigen, bauen, hauen und sägen,
Mühen sich ab und lächeln verlegen,
Ihre Arbeit diente dem Kaufmann zum Wohlstand, Beileibe hat er sie als sein Werkzeug nicht verkannt.
Der Geselle: Heilig sind mir meine Knochen,
Doch kürzlich erst, es geschah vor einigen Wochen,
Schnitt ab ich die Finger meiner Hände,
Der Schmerz zog überall hin, bis zur Lende.
Ich schrie: verflucht und dies für dieses Geld,
Was bin ich doch für ein trauriger Held,
Keinen Tag länger soll er mich beuten,
Wie wäre es, wenn auch Meister und Kaufleute bereuten.
So gab es keinen Frieden zwischen den beiden,
Der Geselle konnte den Patrizier und den Meister, der
Patrizier und der Meister den Gesellen nicht leiden;
Doch auch der Meister stand mit dem Kaufmann in Streit,
Um die Macht im Stadtrat, bei jeder sich bietenden Gelegenheit;
Fast immer siegten Herr Patrizio und seinesgleichen,
Sie wollten von ihrer Macht keinen fingerbreit abweichen,
Und keinen einzigen Stuhl im Rat an Kleinbürger abgeben,
Obgleich auch diese nach Macht und Wohlstand streben.
Heute hat sich alles ganz anders entwickelt:
Die Lust, die Freundschaft, der Frieden, es prickelt,
Überall zwischen den Menschen die reinste Vernunft,
Ein jeder in einer solchen modernen Zunft;
Jeder hat nur den Vorteil des anderen im Sinn,
Ich schwöre es, bei meinem herrlich fettfeisten Doppelkinn.

Zum Abschluß der Szene kommt wieder ein Geselle zu Wort:
Ich für meinen Teil trete auf der Stelle,
Ich bin zwar kopfgewandt und überaus helle;
Doch während wir für unsere Rechte kämpfen,
Um die maßlosen Forderungen von Meistern und Kaufleuten zu dämpfen,
Folge ich meinem Schicksal der Manufakturen entgegen,
Auf vielerlei sozialen und ökonomischen Wegen,
Die Manufaktur hat den Meister und auch den Gesellen
eingefangen,
Während die Gesellen noch mit allhergebrachten Formeln rangen,
Wir beide folgten Schritt für Schritt,
Dem Ruf der Manufakturen Tritt für Tritt,
Aus uns sollte der spätere Lohnarbeiter werden,
International, in allen Ländern dieser Erden.
Zwar liebe ich dich sehr, du Menscheitsgeschicht´,
Doch gehöre ich an der niedrigsten Sozialschicht,
Bestimmt wird sie sich entwickeln, vielleicht schon Morgen,
Und hinwegfegen alle Rinnsal und Menschheitssorgen.

Informationen zum Gedicht: D. Der Geselle

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29.07.2012
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