C. Vier Herren: Walter, Wotan, Werner und Winfried

Ein Gedicht von Georg Babioch
Gelegentlich einen Schoppen Wein oder einen Humpen
Schaumiges anhebend, philosophieren und politisieren die Herren über die Schlechtigkeit der Kulturkritik und die Gutartigkeit der Gegenwartsgeschichte und lernen so einander kennen.

Walter:
Ich heiße Walter und habe vier Gesellen:
Den ersten lasse ich beständig laut bellen,
Den zweiten das Bellen austreten,
Den dritten den Begriff der bürgerlichen Freiheit laut beten;
Und der vierte, dies ist jetzt mein Meister,
Und dieser bellt immer lauter, stets feister.

Wotan:
Möchte sprechen, schweigt aber.

Werner:
Ich habe viel Geld, bin wohlhabend, und eine Fabrik,
Gestern noch hatten wir ein Unglück,
Eigentlich nicht der Rede wert,
Nicht einer hat sich darüber beschwert,
Übrigens ist der gestorben, leider tot,
Ansonsten auch bei mir alles im Lot.

Wotan: Möchte sprechen, schweigt weiterhin.

Winfried:
Ich frage mich seit vielen Jahren,
Und möchte die Geschichte wahren:
Warum der kleinbürgerliche Meister in seinem jahrhundertlangen Kampfe dem Großbürger unterlegen,
Bekämpft haben sie sich dauerhaft und auf allen Wegen,
Ich habe keine Antwort gefunden,
Der Kleinbürger erlag an seinen Wunden,
Zum großen Teil zum mittellosen Lohnarbeiter entwickelt,
Die Geschichte des handwerklichen Meisters ist überaus kompliziert und verwickelt.

Alle prosten sich zu und gröhlen (nur Wotan schweigt):

Wir gröhlen das menschliche Los, Los, Los,
In die Welt, wie wir wollen, famos, famos;
Wir sind die gewissen Schrecken,
Ihr könnt uns am Arschloch lecken;
Die Geschichte ist Zwietracht und Zank,
Gott sei dank, dank, dank!

Walter:
Ich also heiße Walter, ja Walter,
Und habe zudem einen Großgrundverwalter,
Der ist mein Großgrundbesitzgestalter
Und verwaltet Menschen in jedem Alter.

Winfried hebt an und gröhlt:
Prost, prost, meine Freunde,
Auf daß es vergeude,
Daß wir vergeuden,
Die menschlichen Freuden;
Prost, meine Freunde, prost, prost!

Wotan, möchte sprechen, schweigt immer noch.

Walter:
Ein Bauer von mir hat sich vermählt, hat sich gebunden,
Doch wann er erliegt seinen seinen Narben und Wunden,
Da er von einem Krieg in den nächsten gehen mußte,
Noch bevor er sich dessen und des Krieges bewußte;
Er hat übrigens seine Hochzeit mit mir abgesprochen,
Es geschah vor vielen Tagen, ja vielen Wochen;
Er spricht alles mit mir ab;
Wann allerdings in das menschliche Grab,
Er von mir gesandt, er nunmehr einfährt,
So daß sich sein Tod bald zum zehnten mal jährt,
Wann er also in den Himmel einfahre,
Hingegen ich noch stattlich junger Jahre,
Dies wird im nicht verraten,
Ein Grab ihm sicher auf Melaten.

Alle (Wotan schweigt):
Wir gröhlen das menschliche Los, Los, Los,
In die Welt, wie wir wollen, famos, famos;
Wir sind die gewissen Schrecken,
Ihr könnt uns am Arschloch lecken;
Die Geschichte ist Zwietracht und Zank,
Gott sei dank, dank, dank!

Winfried:
Wiederum frage ich mich, warum das kunstfertige Handwerk dem Kapital unterlegen,
Bekriegt haben sie sich zu allen Zeiten, auf allen Wegen;
Warum der Meister den Kampf gegen den Verleger hat nicht gewonnen,
Warum sein Glück ihn verließ und im Stadtrat zerronnen,
Warum der Handwerker in der Manufaktur an die Kette gelegt,
Warum die große Industrie, die Maschine den Lohnarbeiter hegt;
Es kommt mir nur eine Antwort in den Sinn,
Ich schwöre es bei meinem herrlich fettfeisten Doppelkinn:
Daß bloß das Geld, das Kapital hatte die wahre Macht,
Achtsam wachte über Tag und Nacht,
Daß kein anderer Herr und Meister erwuchs in der Geschichte,
Genau hingeschaut im historischen Lichte,
Daß das Kapital, das akkumulierte Geld
Die Menschheitsgeschichte zusammenhält,
Daß das Menschsein dem Kapital unterlegen,
Auf allen seinen historischen Wegen.

Wotan, erhebt erstmals seine Stimme:
Auch ich habe nachgedacht, aber schwieg,
Daß der Mensch in einem ewigen Krieg,
Der Sklave gegen die königliche Brut,
Der leibeigene Bauer gegen seinen feudalen Herren in seinem Blut
Ertrank und seinen Krieg verlor,
Darum es ihn fliehen ließ durch das städtische Tor,
Denn Stadtluft macht frei,
Sei´s drum wie es sei;
Es bekriegten sich Gilden und Zünfte,
Während der Handwerksmeister seine Nase rümpfte,
Um die Vorherrschaft im Rate,
Darum ich dem Meister anrate,
Sich in neuen Zünften zu organisieren,
Sich miteinander zu solidarisieren.
Es bekriegten sich die Meister und Gesellen,
In Bruderschaften organisiert, sie sich gut aufstellen.
Es bekriegten sich Lohnarbeit und Kapital,
Der Kannibalismus des Menschen in einem Spital,
Ein ewiger Kannibalismus von Menschheitskriegen,
Über welche Philosophen vielmals schwiegen;
Nur wenige Philosophen haben über dieses Thema lauthals nachgedacht,
Vielen von diesen hat es fratzenhaft gelacht
Und gefoppt in allen Menschheitslagen,
Sie würden Zwietracht in die Menschheit hineintragen.
Nun wird es Zeit, die Geschichte zu wenden,
So daß diese Kriege zeitlos verenden.
Es haben viele Parteien und Farben unverdrossen
Ihre Sätze und Philosophien über die Menschheit vergossen;
Rote Fähnlein und gelbe und grüne,
Neue Sünden waren es, ihnen Schuld und Sühne;
Es gilt nun ein blaues Fähnlein zu schwenken,
Um der Menschheit ein Leben ohne Krieg und Klassenkampf zu schenken.

Alle (Wotan schweigt, bleibt nachdenklich):
Wir gröhlen das menschliche Los, Los, Los,
In die Welt, wie wir wollen, famos, famos;
Wir sind die gewissen Schrecken,
Ihr könnt uns am Arschloch lecken;
Die Geschichte ist Zwietracht und Zank,
Gott sei dank, dank, dank!

Vorhang fällt.

Informationen zum Gedicht: C. Vier Herren: Walter, Wotan, Werner und Winfried

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29.07.2012
Das Gedicht darf weder kopiert noch veröffentlicht werden.
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