Auszug aus dem Tagebuch des Ewald S.
‚Diese Sequenz ist streng vertraulich. Bitte nichts davon in die Außenwelt tragen´.
Samstag, den xx. Juli 20xx
Nach halbwegs frühem Aufstehen des Morgens eine Runde. Ein etwas ausgedehnterer Spaziergang an den Höllcher Höfen vorbei.
Fotografisch war an dem Tag nicht allzu viel drin. Geringe Ausbeute. Es war nicht mein Tag, schien es mir.
Am späten Nachmittag kaufte ich noch in Neudiringen ein, in einer kleinen REWE-Filiale. Da fahre ich nicht mehr oft hin, weil die Fleischtheke da im Laufe der Jahre immer weiter zurückgefahren wurde, mittlerweile gibt es da gar keine mehr. Genauer: Heute kaufe ich da nur noch ein, wenn mal gerade was fehlt und ich es sehr eilig habe. Aber ich greife vor.
Gegen Mittag war ich es dann leid. Absolut leid. Immer diese Fliegen, diese Insekten im Wohnzimmer. Ich beschloss ein Fliegengitter oder sowas ähnliches einzukaufen. Meine Gedanken bewegten sich in Richtung eines Lamellenvorhangs, den man bei Bedarf in die Öffnung der Balkontüre hängen kann. Früher fand sich sowas in bunten Farben in vielen Haushalten.
Also, sich mit dem Alltagsdress ankleiden, Auto raus und die paar Kilometer bis zu dem Baumarkt zurücklegen. Machte Spaß, das Autofahren.
In dem Baumarkt suchte ich dann einen der wenigen noch verbliebenen Verkäufer, ließ mir von ihm beschreiben wo ich ein solches Produkt finden könne, wählte eines mit Haarsträuben aus. Im niederpreisigen Bereich, das mich aber dennoch vermuten ließ, das die ganze Handelskette, über Hersteller, Transporteur bis zum Händler, einen guten Gewinn damit erwirtschaftete, ging zu der letzten noch verbliebenen, mit einer Kassiererin besetzten Kasse in dem Markt, der schon vor Jahresfrist damit begann, die Kunden vor die Aufgabe zu stellen, die gekauften Artikel selbst zu scannen und den Kauf anonym, ohne Personal zu Ende zu bringen. Ich redete mit der Kassiererin! Sei scannte für mich. Professionell.
Zu Hause machte ich mich dann, wohlwissend, dass ich mich einer Illusion hingebe, an den Versuch, das Produkt der Firma „Very easy life“ in meinem angemieteten Wohnzimmer an die Öffnung zur Außenwelt anzubringen. Genau da, wo sich die Insekten in den Wohnraum hineinschmuggelten.
Mir steht hier der Sinn nach einer Interjektion. „Boaahhh….!“
Auf der folienüberzogenen Papp-Verpackung, säulenförmig, etwas über einen Meter lang, mit der Grundfläche eines Kantholzes 8 an 8, waren ein paar wenige, mehr oder weniger lustige Bilder wie die Textblasen in Comics aufgedruckt, die anstelle einer Gebrauchsanweisung veranschaulichen sollten, wie der Zusammenbau nun vonstattengehen soll. Statt der herbeigewünschten Dokumentation (ich mag Comics nicht sonderlich) lagen im inneren des Kartons sage und schreibe vier weiße, schwarz bedruckte DINA4 Blätter, Kopien sicherlich, mit den Garantiebedingungen und vor allem: mit den Garantieausschlüssen.
Das größte Problem für mich: Der vierstreifige Lamellenvorhang aus schwarzem Kunststoffgewebe, einer Art Gaze, dessen Lamellen man händisch in eine etwa ein Meter lange, also tür- bzw. fensterbreite, sehr schmale, gewölbte und flache Kunststoffschiene einlegen und fixieren musste, sollte in meinem Falle abnehmbar oben an den Rahmen der Balkontüre angebracht werden. Vorgesehen war aber nur eine einmalige Montage mittels doppelseitigem Klebeband auf einem entsprechenden Untergrund.
Das war schwierig. Mehr als ein Meter Klettband war außerdem dabei. Ich beobachtete nicht sehr gut, sonst hätte ich bemerkt, dass nur die Seite des Klettbands mit den Kunststoffhäkchen dabei war. Das filzartige Gegenstück mit Klebestreifen fehlte.
Die obere schmale, leicht gewölbte Kunststoffschiene des Insektenschutzvorhangs, so nenne ich es einmal, war, wie schon erwähnt, etwa einen Meter lang und gute vier Zentimeter breit. Bei näherem Hinsehen sah ich, dass es sich dabei um eine Schiene handelte, die in Längsrichtung um eine einfache Falz, ähnlich wie ein Scharnier, zusammengeklappt war.
Die Falz muss bei der Montage der Schiene oben liegen, kam mir in den Sinn. Nach unten baumelt der Vorhang runter. Klar. Einfach. Einleuchtend. -
Auf der anderen Längsseite der hohlen Schiene fand sich auf dem hinteren Teil eine wulstartige Nut, auf der Vorderseite eine Feder, die mit etwas Druck in die Wulst des hinteren Schienenteils hineinpasste. Ich klappte die werksseitig zusammengedrückte Schiene erst einmal auseinander, was schon ein Messer und etwas Kraft brauchte um die Feder der wulstigen Nut zu entreißen. Dann trat in dem nicht sonderlich großen Zwischenraum eine abgedeckte Klebefläche über die gesamte Länge der Schiene zu Tage, auf die, so mein Wissensstand, das Klettband befestigt werden sollte. Auf dieses Klettband dann, so der Hersteller „Very easy life“, musste man die vier Gewebelamellen des Vorhangs aufdrücken, aber erst, nachdem sie auf entsprechende Länge gekürzt worden waren. Danach einfach die Kunststoffschiene über dem eingelegten Gewebe der Lamellen feste zusammendrücken, bis die Feder in der Wulst klemmte, und die Schutzfolie des auf der Schienenrückseite angebrachten doppelseitigen Klebebands entfernen. Schiene an der gewünschten Stelle über der Tür andrücken.
Fertig.
Easy. Easy eben.
Zwei Stunden später stand ich erschüttert vor meinem Werk. Überall auf dem Wohnzimmerteppich langen kurze Stücke von Schutzfolie. Schlimmer noch waren die auf dem Laminat haftenden Rubbelstücke des händisch entfernten doppelseitigen Klebebands von der Schienenrückseite. Dann kamen mir da noch ein paar Fetzen des zweckentfremdeten Leuchtstreifens für meine Fahrradhose zu Gesicht. Von dem hatte ich einfach mit einer Schere den Filzstreifen des Klettbands abgelöst und für meine Zwecke verwendet. Einen dieser Luminous strips, dieser Leuchtstreifen, hatte ich vor längerem verloren. Einen alleine trägt man nicht, stand mir im Sinn.
Am allerallerschlimmsten waren aber die Rückstände des Klebebands auf dem Türrahmen. Das ging nicht mehr so leicht zu entfernen.
Es wurde warm. Die Tür stand offen.
Die Fliegen waren nicht weit weg.
Der Küchenstuhl stand mindestens so oft im Weg, wie er nützlich war.
Eins war klar. Das gab eine Klage gegen den Hersteller. „Easiest life“. Der Konstrukteur, der Geschäftsführer, der Typ im Baumarkt, der Baumarkt ansich, alle gehörten sie in den Knast. Beschwerde beim Amt für Markenschutz. Die Firma wird es nicht mehr lange geben!
Ich fühlte mich seelisch verletzt.
Dabei. Es kam noch schlimmer.
Die Schiene hing nun, war abnehmbar. Das Klettband tat seinen Dienst. Ein erster Anflug von Hoffnung keimte in mir auf.
Nun galt es die Lamellen zu kürzen und in die Schiene passgenau einzuhängen. Das stellte ich mir nicht so schwierig vor, nachdem was ich schon zu Stande gebracht hatte.
Es ging gut. Die Schere war scharf, neu. Der Schnitt gelang zwar nicht perfekt gerade, aber so la la. Die abgeschnittenen Streifen der Kunststoffgaze wirkten zwischen Rubbelstücken und Schutzfolienrückständen auf dem Boden fast unauffällig. Schweißtropfen fielen schwer auf das helle Laminat. Der Blutdruck stieg. Aber nur wenig. Erstmal.
Die Schiene aufklappen, die Gaze hinein, gerade ausrichten, die gefalzten Schienenhälften zusammendrücken, und.
Und. Mann oh Mann!
Diese Prozedur wiederholte sich ein paar Mal. Ich stellte fest, es war schwierig. Nicht nur, weil das Klettband zweckentfremdet war und dafür sorgte, dass die Schiene am Türrahmen abnehmbar war. Immer wieder verrutschten die vier Kunststofflamellen aus der dünnen Gaze, die schönen Säume aus Stoff an deren Längskanten lösten sich und machten die Sache nicht besser.
Der Vorhang mit den vier Lamellen hing. Die Schiene war am Rahmen festgeklettet.Ein leises Lächeln zog mir die Mundwinkel wieder in Richtung Ohren hoch.
Die Bahnen hingen nur leider nicht sehr gerade. Parallel hieß das Zauberwort. Die Lamellen sollten, so der nicht zu Ende gedachte Wunsch meiner selbst, parallel mit gleichmäßiger Überlappung nach unten hängen. Durch das Gewicht von an den unteren Lamellenenden eingebrachten Verstärkungen, analog zum Bleiband der Gardinen, hingen die einzelnen Lamellen zwar gestreckt, aber das war es auch schon.
Aber das sollte jetzt mit etwas mehr Ruhe doch zu schaffen sein.
Erst mal die Rollladen etwas herunterlassen, damit die Hitze, die Sonne und vor allem die Fliegen nicht noch … .
Ich drückte die Balkontüre etwas zu, um nach dem Rollladenband zu greifen, da knirschte und krachte es schon. Eine der gewichtigen Verstärkungen, ganz unten an dem Gazestreifen, der dem Angelpunkt der Tür nächsten Lamelle war gebrochen, durch den sich schließenden Türspalt zerquetscht. Ich hielt einen Moment inne. Sammelte mich. Konnte das überhaupt sein?
Tür öffnen, Schiene abnehmen, Schaden begutachten. Das war ja nicht so schlimm, fand ich. Glück gehabt!
Im Flur vor dem Wohnzimmer, auf dem Boden war Platz. Ich legte den Vorhang auf den Fliesenboden, richtete die Lamellen so gut aus wie es ging. Aber es war schwierig. Sehr schwierig. Die Kunststoffgaze verhielt sich außerordentlich steif. Knüselig sozusagen. Der Grund: Die Schwere der Schwerkraft fehlte. Das heißt, sie fehlte ja nicht, sondern sie wirkte in die andere Richtung, rechtwinklig dazu, eigentlich antiknüselig sozusagen. Aber da eben nur äußerst schwächlich.
Ich richtete aus, zupfte, rückte gerade. Das Selbstbewusstsein erholte sich eine ganze Weile. Aber dann kam der Moment, als ich um das Werk herumschlich, bei dem ich mit der liebgewonnenen Birkenstock Sandale alles wieder zunichtemachte. Irgendwie verkantete und beschleunigte sich nicht nur die Sandale beim Aufstehen aus gebückter Stellung so heimtückisch durch und in den Raum, weil das Ameisenkribbeln des eingeschlafenen Beins mir nicht nur ein Wohlgefühl versagte, sondern mir auch Teile des Gleichgewichtssinns sabotierte, dass ich zusammen mit der Sandale dann quer über, durch und mit den Lamellen von A nach B hinterher schoss.
So was war mir auch noch nicht passiert.
Die Sonne senkte sich schon langsam, der Nachmittag näherte sich. Meine Vorstellungen von Parallelität und Überlappung waren weitaus realistischer geworden, als noch zu Schulzeiten. Der Schnittpunkt zweier Parallelen lag nun nicht mehr ganz so weit in der Unendlichkeit. Da könnte ich jetzt auch nochh mehr zu schreiben, aber … .
Gerade war es ja. Gut auch. Der Vorhang ließ sich aufhängen. Mit Besen und Staubsauger die Spuren beseitigen.
Langsam kam der Moment näher, wo der gestandene Handwerker sein Werk und dessen Vorzüge genießt. Ich saß auf der Couch in einem halbdunklen, insektenfreien Wohnzimmer, eine Tasse Milchkaffee stand vor mir.
„Da soll das Werk den Meister loben“, … so etwa äußerte sich Schiller. So etwa stand es mir auch im Sinn, als es sich anhörte, als würde ein überdimensionaler Reißverschluss aufgezogen, der ganze Vorhang für einen Moment in „Hab acht Stellung“ hing und dann mit einem Krachen auf den Boden herunterfiel …. .
Ansonsten eher ein ruhiger Tag, der erste Tag der Olympischen Sommerspiele in Paris. Ich verfolgte das Geschehen dort heute nicht.
Goldmedaillen. Naja. Zweiter Durchgang. Im zweiten Durchgang vielleicht.
© Auris cAeli
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