Zeitgenössische Armut

Ein Gedicht von Tilly Boesche-Zacharow
Ich trat am Morgen aus der Tür
und finde einen Bettler hier,
der seit Tagen –ungelogen-
hier – so scheints – Quartier bezogen.
Mein Fußabtreter bot ihm Lager.
Ein junger Kerl, sehr bleich, sehr mager,
und er wirkt glatt ausgehungert.
Wer weiß, wie lang er schon so lungert?
Ich seh die Löcher in den Sohlen
seiner Schuhe, die verstohlen
er vor mir zu bergen sucht,
und wobei er leise flucht.
Es erfüllt mich groß Erbarmen.
Wie kann ich helfen diesem Armen?
Ich hör schier den Magen brüllen:
„Wo gibt es was, um mich zu füllen?“

Hab nichts dabei, nur Obst in Tüte,
die ich ihm nun einfach biete:
„Das ist alles, was ich habe,
Doch es sei dir kleine Labe!“
Da bricht er aus - in bös Gescheppel:
„Ick brauch ´nen Joint und keene Äppel.“
Das Herz im Leib mir fast erfriert
während ich ihm nachgestiert.
*
Hab später dann im Park gesessen,
hab meine Äpfel selbst gegessen.
Der Bettler ist viel später trunken
auf ´ne Nebenbank gesunken.
Er sah mich nicht, ich hört sein schrei´n:
„Was bildet sich so´n Glückspilz ein?“

So zeigt sich neuer Bettler Form
mit früh´rer Armut nicht konform.
Dieser Tag hat mich gepolt:
Die Matte wird nun reingeholt.
Was mit dem Junkie ist geschehn?
Ich habe ihn nie mehr gesehn.
Nur - wenn ich einen Apfel seh,
verspür ich ihn in nächster Näh.
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Informationen zum Gedicht: Zeitgenössische Armut

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27.07.2013
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