Kulturtheater

Ein Gedicht von Reiner Rinkes
Abendvorstellung
Der Vorhang hebt sich und es erscheint ein Bühnenbild,
das eine hohle, enge Gasse zeigt,
durch die sich eine ebenso hohle wie breite Masse zwängt,
ohne auch nur zu ahnen, dass sie gerade dabei ist, ins Verderben zu rennen.
Sie bemerkt weder dieses braune Gesindel,
das zu beiden Seiten des Weges eine Art Spalier bildet,
noch über sich deren zum siegheilen Gruß ausgestreckten Arme;
dabei wäre es so tröstlich zu wissen,
dass man beim Untergang wenigstens ein Dach über dem Kopf hat.

Ein lampenfiebriger Schauspieler betritt nun die Bühne
und beginnt mit seinem Vortrag `Kulturfragen´
über den jämmerlichen Zustand der Gesellschaft
und den wenig erbauenden Aussichten für die Zukunft.
Weil der Zuschauerraum im Dunkeln liegt, entgeht ihm zunächst,
dass er vor leerem Haus redet;
aber selbst als sich seine Augen längst an die Dunkelheit gewöhnt haben,
und er erkennt, dass er allein ist, fährt er unbeirrt fort,
bis auch seine letzten mahnenden Worte ungehört verhallen …

Kulturfragen
„Sag! Sind das überhaupt noch echte Menschen
Oder sind das nicht längst schon Maschinen
Diese Wesen, die mit irre entrücktem Blick
Und so unendlich viel Geschick
Auf diesen kleinen, flachen Dummdingern
Mit flinkem, dickem Daumen rumfingern
Den Fetisch bedienen, um ihm zu dienen
Oder sind das am Ende gar so `ne Art Kombis
Ein schräges Gemisch aus Androiden und Zombies?
-
Sag! Was sind das nur für seltsame Bändchen
Die einigen von ihnen zu den Ohren raushängen
Die sich erst noch ein Stück nach unten winden
Um dann wieder woanders zu verschwinden
Wo gehen die hin, gehn die unter die Haut
Oder münden in den Fetisch, dem man blind vertraut
Der den Hirnrest berieselt mit flachen Gesängen
Dass sie ständig ganz ähnlich Wackeldackeln
Fast synchron, monoton mit den Köpfen wackeln?
-
Sag! Was sind das eigentlich für halbe Hemdchen
Die die Großen nicht nur bis ins Kleinste imitieren
Sondern sich gar sonderlich, noch schlimmer als die Alten
Total bescheuert, fremdgesteuert, uniform verhalten
Die bereit sind, bis ans Ende der Welt zu laufen
Wenn es sein muss, um den neuesten Fetisch zu kaufen
Wer will sich schon mit dem Modell von gestern blamieren
Sind das etwa die Kinder, ist das jetzt also schon
Ganz konkret die Zukunft, die nächste Generation?
-
Sag! Was wird bloß aus unsrem armen Ländchen
Wenn Klein und Groß um die Wette verblöden
Und sich nicht mehr über die Straße wagen
Ohne vorher ihren Fetisch nach dem Weg zu fragen
Wenn das Selfie in Facebook vom Musical in Berlin
Als Kultur genauso durchgeht wie zum Beispiel Shopping Queen
Während Museen und Theater allmählich veröden
Dieses perfide Geschick, die Massen zu begeistern
Zählten wir Deutschen darin nicht schon immer zu den Meistern?
-
Sag! Diese in den deutschen Himmel gereckten rechten Händchen
Und diese dämlichen Parolen, woran erinnert mich das nur?
Wohl dem, der fürs Denken seinen Fetisch hat
Und Berlin wird demnächst wieder Reichshauptstadt
„Wir sind das Volk!“ klingt schon verdächtig nach Brunnenvergiftern
Und genau diese Bande von Brand- und Unruhestiftern
Prägt schon wieder mal die deutsche Willkommenskultur
Und dieses: „Weg mit dem Dreck, sonst lernt ihr uns kennen!“
Passt, egal ob Synagogen oder Flüchtlingsheime brennen
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Sag! Wer gießt nur immer wieder dieses furchtbare Pflänzchen?
Heißt es doch: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch
Und schon gebärt er und zieht recht/s ungestört seine blutige Spur
Die braune Brut unterschätzen war immer schon Teil unsrer Kultur
Dabei setzt der Nazi ganz gezielt, um seinen Dreck zu verbreiten
Auf den Fetisch der Massen , um die Massen zum Hassen zu verleiten
Klar ist das schon ziemlich krass, viel krasser noch ist jedoch
Dass ausgerechnet die Betreiber der so genannten `Sozialen Medien´
Recht willig `ne billige Plattform bieten, seine Hetze von rechts zu predijen

Irgendwann nach Mitternacht verschlägt es den einsam umherirrenden Schauspieler
eher zufällig in eine jetzt menschenleere, hohle, enge Gasse,
und nachdem die Massenverblödung erfolgreich abgeschlossen ist,
fällt der Vorhang endgültig zum letzten Mal.

Informationen zum Gedicht: Kulturtheater

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21.08.2015
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