Regale

Ein Gedicht von Klaus Lutz
Meine Regale. Voll mit Stapeln von Worten. Heute habe ich sie
aufgeräumt. Die Stapel mit Liebe. Die Stapel mit Glauben. Die
Stapel mit Treue. Die Stapel mit Hoffnung. Die Stapel mit
Wahrheit. All die Worte habe ich geordnet. Über den Sinn, von
Ihnen, nachgedacht. Mit ihnen gespielt. Gezaubert und jongliert.
Ihnen Geschichten erzählt. Und von meinen Freunden. War mit
ihnen auf Reisen. Im Café. Bei Nachbarn. Und in der Stadt.
Und nun sehe ich die Worte neu. Und so behandele ich auch
diese Worte!

Die Stapel mit Liebe. Die Liebe in Blau geschrieben. Die Liebe
mit eckigen Buchstaben geschrieben. Die Liebe mit leuchtenden
Farben geschrieben. Die Liebe in den Mund, von Strichmännchen,
geschrieben. Auf Zeichnungen von fallenden Blättern. Alle Worte
voller Schönheit. Himmlisch und richtige Kunst. Mit jedem
Buchstaben. Und nun sind sie im Müll. Denn die Liebe. Nur als
Worte. In Regalen gestapelt. Da nutzen sie nicht im Leben. Da
bleiben die Menschen einsam. Das weiß ich jetzt!

Die Stapel mit Treue. Die Treue mit Aromastift geschrieben. Die
Treue auf roten Hintergrund geschrieben. Die Treue in einem
Kreis geschrieben. Jedes einzelne Wort etwas besonderes. Mit
Buchstaben die Lächeln. Gemalt wie ein Gemälde. Die Treue
in gezeichnete Sterne geschrieben. Die Treue zwischen lachende
Menschen geschrieben. Nun sind all die Stapel im Abfall. Die
Treue nur als Wort. Und das in einem Regal gestapelt. Das hilft
keinem Mensch. Das ist mir heute klar geworden!

Die Stapel mit Hoffnung! Die Hoffnung in eine Zeichnung, von
Wolken, geschrieben. Die Hoffnung als Wort, auf Papier,
geschrieben. In den Mund eines Strichmännchens geschrieben.
Klein in der Ecke eines Blattes. Grün in eine Hand gemalt. Die
Hoffnung auf einem Blatt voller Engel. In ein Herz in der Mitte
des Blattes. Nun sind all die Stapel in der Mülltonne. Die
Hoffnung nur als Wort. Und das in einem Regal gestapelt. Kein
Mensch kann damit etwas anfangen. Im Regal gestapelt ist die
Hoffnung nur tot. Das ist mir jetzt klar!

Die Stapel mit Wahrheit. Die Wahrheit mit Buchstaben, kreuz
und quer, verteilt. Die Wahrheit ganz klein geschrieben. Zum
Suchen. Die Wahrheit auf dem Sack von einem Nikolaus.
Zeichnungen mit Fingern, Augen, Köpfen. Auf allen steht
dieses Wort, die Wahrheit, geschrieben. Dick in Brot gebacken.
Als Wort in einem Kinderlied. Im Nebel von kalten Tagen.
Das Wort Wahrheit. In allen Variationen auf Papier geschrieben.
Nun habe ich den Stapel mit Wahrheit entsorgt. Denn die
Wahrheit in einem Regal ist sinnlos. Das habe ich jetzt erkannt!

Heute ist mir das Leben klar geworden. Ich werde keine Worte
mehr, in Regalen, stapeln. Ich werde jedes Wort schreiben. Ihm
einen Satz geben. Diesen Satz dann mit mir nehmen. Mit ihm
die Welt neu sehen. Mit ihm den Menschen neu begegnen. Mit
ihm mein Leben in Ordnung bringen. Ich werde diesen Satz
leben lassen. Mit jedem Wort In allen Farben. In allen Formen.
In allen Facetten. Ich lasse jedes Wort mächtig sein. Den Satz
feiern. Und die Tage genießen. Mit Sprache und Worten und
Sätzen wie Freunde. Das Leben beginnt!

(C)Klaus Lutz

Informationen zum Gedicht: Regale

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04.02.2021
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