Rotkäppchen im Westerwald

Ein Gedicht von Klaus Enser-Schlag
Die Mutter sprach zu ihrem Kind:
„Heut‘ weht ein ziemlich böser Wind!
Hier hast Du Kugelhupf und Wein,
zu Omi geh ins Altenheim!
Ich bin des Aufenthalts dort leid,
für Alte hab‘ ich keine Zeit!“

Das Kind ging durch den Westerwald,
oh je, wie blies der Wind so kalt!
Von rechts kam er, es pfiff und zog,
dass sich manch‘ deutsche Eiche bog…

Da hörte sie lauten Gesang,
dem Rotkäppchen war´s gar nicht bang,
denn sie sah eine Burschenschar
mit Hakenkreuz, wie wunderbar!
Die Jungs marschierten auf sie zu,
vorbei war’s mit des Kindes Ruh‘.
Wie arisch sie doch alle waren,
mit blauen Augen, blonden Haaren!

Der erste war der schönste Kerl,
das Kind verliebte sich ganz schnell
in diesen schönen Adolf Wolf,
er nahm sie – hart und mit viel Stolz.
„Danach“ sprach er in ernstem Ton:
„Du weißt, ich wünsch‘ mir einen Sohn!
Wir brauchen eine Heeresschar,
wozu sind Frauen auch sonst da?“


Sie tauschte rot sogleich mit braun
und nannte sich Frau Eva Baum.
Und als der Wolf kam an die Macht,
da hat sich Eva still gedacht:
„Ich hab ein ungutes Gefühl,
mein Wolf ist so verroht und kühl.
Die Füchslein lässt er alle morden
von seinen reißerischen Horden!“

Und so regierten sie ein Reich,
das keinem anderen kam gleich.
Die ganze Welt sah’s mit Verdruss
und nach 12 Jahr’n war endlich Schluss.
Zerstörung kam nun übers Land,
die beiden tot – durch eig’ne Hand.
Das Märchen der Gebrüder Grimm
war nicht im mindesten so schlimm…

Bläst heut‘ der Wind nicht wieder kalt,
im schönen, deutschen Westerwald?
So mancher Wolf streift durchs Geäst,
und wer sich von ihm fangen lässt,
erfährt kein Mitleid je von ihm,
drum lasst die Wölfe lieber zieh’n…

Informationen zum Gedicht: Rotkäppchen im Westerwald

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26.01.2016
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