Die Hexe

Ein Gedicht von Klaus Enser-Schlag
In einem Dorf, vor langer Zeit,
man lebte in Bescheidenheit,
gab sich recht edel, fromm und gut,
doch war man trotzdem auf der Hut
dass heuchlerischer Schein gewahrt‘,
wie es sich Euch gleich offenbart…

Dort lebte einst Cäcilie Kraus,
die sah schon wirklich seltsam aus.
Das linke Auge fehlte ganz
und ihre Katze – ohne Schwanz-
das Biest, es fauchte alle an,
egal, ob Kind, ob Frau, ob Mann…

Ganz zahnlos war Cäcilie’s Mund,
man nannte ihn den „Höllenschlund“.
Die Kinder hatten Angst vor ihr
und ihrem bösen, schwarzen Tier.
Und freilich, es war unbestritten,
dass auf dem Besen sie geritten…

Man hatte wohl auch im Verdacht,
dass sie in mancher Vollmondnacht
mit Luzifer persönlich sprach,
das weckte manches Ungemach…

Des Müllers Tochter wurde krank
und lag schon sterbend auf der Bank.
Der Dorfarzt konnte nichts mehr tun.
„Ach, möge sie in Frieden ruh’n!“,
sprach der Herr Pfarrer mit Bedacht.

Doch später dann, um Mitternacht,
da klopfte es beim Müller an,
die Angst saß tief beim guten Mann.
Die alte Kraus, sie stand vor ihm
und brachte eine Medizin
die sie aus Kräutern selbst gebraut…
Der Müller hat recht dumm geschaut…

Sein Töchterlein war bald gesund,
die Nachricht ging von Mund zu Mund.
Man rief:“ Hab‘ Dank, Cäcilie Kraus!
Sie sieht zwar etwas seltsam aus,
doch eigentlich ist sie ein Schatz,
die hat das Herz am rechten Platz!
Und außerdem, wir dulden nicht,
dass man als Hexe von ihr spricht!“

In einem Dorf, vor langer Zeit,
erkannte man die Wirklichkeit.
Auch heute trügt sehr oft der Schein
und bringt so manchen Menschen Pein…

Informationen zum Gedicht: Die Hexe

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05.09.2014
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