Deutsche zweiter Klasse - Teil II

Ein Gedicht von Heinz Säring
Doch dann, - was wie ein Wunder schien -
die Welt geriet ins Wanken.
Das war zu einem großen Teil
dem Gorbatschow zu danken.

Wir waren vierzig Jahre
vieler Freiheiten beraubt
und jetzt ein einzig Deutschland,
woran keiner mehr geglaubt.

Der ganze fiese Bonzenstaat
war endlich nun vorbei
mitsamt der vielen Stasi und
der ganzen Heuchelei.

Rund zwei Million' "Genossen", die
soviel "Bewusstsein" hatten,
verließen schnell das morsche Schiff,
sobald es sank, wie Ratten.

Wozu soll man denn heut' noch
für den Sozialismus sein?
Das lässt man jetzt den Dummen,
denn es bringt ja nichts mehr ein.

Doch vorher all' die Jahre,
dass man einen Posten kriegt,
da schrieen sie, wie es erwünscht:
"Der Sozialismus siegt!"

Ich red' nicht von den wenigen
in diesen großen Scharen,
die wirklich ehrlich überzeugt
von ihrer Sache waren.

Nun sind wir frei! Wohin ich fahr'
und mein Benzin vergase,
wir sind nicht mehr, das ist jetzt klar,
nur Deutsche zweiter Klasse.

Doch nach der ersten Euphorie,
nach Jubel und Applaus
sah später dann die Wirklichkeit
doch etwas anders aus.

Wer viele lange Jahre
hat gespart an seinem Geld,
für den stand jetzt die Frage,
was man nun dafür erhält.

Obwohl wir hier für unser'n Job
viel weniger bekommen,
ward uns von dem Ersparten noch
die Hälfte weggenommen.

Und viele hier im Osten
übersahen das sogar,
getäuscht durch Wechselstuben,
dass das pures Unrecht war.

Man plündert' ohne Widerspruch
die Hälfte uns'rer Kasse.
Wir nahmens hin, wir waren d o c h
nur Deutsche zweiter Klasse.

Man kann doch nicht, will man den Wert
von Währungen ermessen,
nur technische Geräte seh'n
und alles sonst vergessen.

Nur Fernseher und Stereo
und PKWs - indessen:
Viel wichtiger sind letztlich doch
das Wohnen und das Essen.

Es werden noch im Nachhinnein
die "Alu-Chips" gerügt -
es zählt doch, statt des Materials,
das, was man dafür kriegt!

Man konnte für sechshundert
DDR-Mark leidlich leben -
und dafür würd' es heute
hundertfünfzig Euro geben!

Die Welt steht heute offen,
aber nicht für jedermann.
Was nützt es dem, der mangels Arbeit
sich nichts leisten kann?

Und Arbeitslose gibt es hier
in doppelt großer Masse -
auch da sind eben wieder wir
die Deutschen zweiter Klasse.

Und damals in der Wendezeit,
so in den ersten Wochen,
da wurde uns von Helmut Kohl
ein blühend' Land versprochen.

Jetzt muss man tausend Kilometer
in der Woche fahren
für ein paar Tage Arbeit, und
das schon seit vielen Jahren.

Und oft - wenn's nicht so traurig wär,
dann wäre es zum Lachen -
man hat im Jahr paar Wochen Job,
wenn Wessis Urlaub machen.

Was mach ich denn? Ist mir erlaubt,
womit ich mich befasse?
Ich hör' schon auf, ich weiß, ich bin
nur Deutscher zweiter Klasse.

Informationen zum Gedicht: Deutsche zweiter Klasse - Teil II

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12.07.2011
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