G. Deutsche Einheit

Ein Gedicht von Georg Babioch
Lothar, Helmut, Oskar und Erich sitzen an einem Tisch
eines Aussiedlerheimes. Lothar und Erich kommen von drüben, Helmut und Oskar sind aus dem Westen. Die vier
haben sich nach einem Fußballspiel kennengelernt, feiern gemeisam den Gewinn der Fußballweltmeister-chaft und warten auf die Ergebnisse der deutschen Einheit.

Helmut:
Der Matthäus war der beste,
Er schoß den Ball sehr feste,
In das Tor der anderen rein,
Nicht schlecht auch der Uwe Bein.

Erich:
Den Litti habt ihr von drüben,
Aus Berlin, doch muß er noch üben
Denn Ball in das Tor dort zu schießen,
Wie wir alle in Deutschland doch wissen.

Helmut:
Deutschland, einig Vaterland,
Diesen Umstand hat keiner verkannt,
In solchen seligen Zeiten,
Möchte man als Kanzler durch das Land schon reiten,
Durch das ganze Land,
Und diesmal nur wenig Sand
In die Augen der Menschen streuen,
Was ist es schön, daß alle sich freuen.

Erich:
Ich bin Maurer und ohne Job und Wohnung;
Ist dies etwa die ganze Belohnung,
Daß ich viele Jahre unserem Land gedient habe,
Daß ich mich nunmehr an Sozialgeldern labe.
Gewiß, herrlich blau der kleine Zehner
Leider im Grab schon der Erich Wehner,
Hat unser Glück nicht erleben dürfen,
Daß wir nun gemeinsam nach Goldgräbern schürfen.

Helmut:
Ich bin nach Rom gefahren,
Um mich um die Mannschaft zu scharen,
Hatte beinahe den Pott in meinen Händen
Und dachte: Jetzt erst recht die Geschichte wenden.

Oskar (zu Erich und Lothar):
Ihr seid mit zu vielen angereist,
Dies hat die Stimmung in unserem Land vereist,
Doch feiern wir nun einmal dieses Fest,
Weil die SED dieses Fest uns feiern läßt.

Erich:
Die Alten werden es heute bereuen,
Daß wir uns über die Einheit nun freuen;
Sie haben uns abziehen lassen,
Daß wir den Feind nun selber anfassen.
Der Schutzwall ist nun gefallen,
So daß unsere Köpfe jetzt wallen,
Ob eurer vielen Millionen
Mark, die mit euch wohnen, die mit euch wohnen.

Lothar:
Gottlob, wir alle haben gewonnen,
Dem Diego das Blut geronnen,
Gewonnen haben wir alle,
So sprachs auch der Rummenige Kalle.

Alle:
Prost, prost, meine Herren!
Wir wollen einen heben,
Nach Höherem nun auch streben,
Wir alle sind Weltmeister,
Wir werden noch viel dreister,
Prost, prost, meine Herren!

Erich:
Übrigens streben unsere drüben nach Arbeitslosen
Und denken in Lottoglückslosen
Und wünschen sich Slips, statt Unterhosen,
Was wird nur aus den Arbeitslosen.

Lothar:
Der Mensch drüben versteht zu kämpfen,
Die Sinne seines Übermutes zu dämpfen;
Denn rasch keimte der Übermut,
In den Adern kochte das rote Blut;
Doch im Kopfe schon die Mark,
Macht ihre Körper mutig und stark;
Darum malten sie schwarze Kreuze,
Entschuldigung, daß ich mich jetzt erst recht schnäuze.
Was wird nun aus meinem Trabanten,
Den schenk ich den vielen Verwandten,
Zum Beispiel den beiden Tanten,
Die möchten so gern den Trabanten.

Oskar:
Nun, ich wähle die SPD,
Immerhin weiß ich, wo ich dann steh;
Sie wird es richtig machen,
Die Politik wieder rot entfachen.

Erich:
Die PDS müßt ihr nun wählen,
Sie wuchert in unseren Seelen;
Sie wird uns nichts mehr stehlen,
Die PDS müßt ihr nun wählen.
Die SED hat mich ausgeschlossen,
Gefallen von hohen Leitersprossen,
Auf Betonboden aufgeschlagen,
Niemanden kann ich nunmehr überragen.
Ich bin Maurer und ohne Job und Wohnung,
Ist dies die einzige Belohnung,
Daß ich vierzig Jahre habe geheizt,
Ob mich das Land drüben noch reizt?
Darum bin ich abgehauen,
Um im Westen nach Arbeit zu schauen;
Auch die DKP hat mich abgewiesen,
Ich würde ihr die Stimmung vermiesen,
Habe ihr früher das Geld überwiesen,
Jetzt haben sie mich abgewiesen.

Lothar:
Du bist selber schuld an deiner Lage,
Was lehnst du dich aus dem Fenster, wage,
Wage es nicht, dich gegen den Weltmarkt aufzulehnen,
Dies möchte ich nur so nebenbei erwähnen;
Unsere Märkte sind älter als du,
Jetzt schlagen vor dir alle die Türen zu;
Und drüben werden viele entlassen,
Doch viele träumen von Untertassen,
Von fliegenden Gesetzen der Ökonomie
Und neuer Maschinentechologie;
Eine Maschine ersetzt den Mann
Weil er nicht wie die Maschine so gut und preiswert arbeiten kann.

Helmut:
Ganz gleich, was jetzt passiert,
Ich bin doch gut rasiert,
Trage keinen grauen Bart,
Bin noch gut in Schuß und in Fahrt.
Meine Wangen sind ganz kahl,
Wir schreiten bald zur Wahl;
Vergessen der Marx, Karl,
Von Dresden bis nach Marl,
Und auch der Illitsch Lenin,
Gilt nichts im Osten Berlin.
Ich bin so kahl rasiert,
Die beiden aber werden nicht rehabilitiert.

Alle:
Prost, prost, meine Herren!
Wir wollen einen heben,
Nach Höherem wieder streben.
Wir alle sind Weltmeister,
Wir werden noch viel dreister.
Prost, prost, meine Herren!

Eine Stimme, während die vier die Weltmeisterschaft im besonderen und die deutsche Einheit im allgemeinen weiterfeiern:

Auch wenn sie es nicht glauben,
Wir werden niemanden ausrauben,
Und nach anderen Ländern ausspähen
Und im Weltkrieg nun aufgehen,
Auf zu einem neuen Versuch,
Greift die Fahne, die Flagge, das Tuch;
Schwarz-rot-gold, es lichtet,
Auf daß uns kein Scherge mehr richtet.

Informationen zum Gedicht: G. Deutsche Einheit

2.112 mal gelesen
(Es hat bisher keiner das Gedicht bewertet)
-
30.07.2012
Das Gedicht darf weder kopiert noch veröffentlicht werden.
Anzeige