Wie Steine lächeln lernen

Ein Gedicht von Franz Jarek
Tag für Tag saß er am Fluss. Er freute sich am Wasser, sah den Enten, den Schwänen und den springenden Fischen zu. Hinter ihm, auf einem Steinsockel, stand eine Reiterfigur. Er war zufrieden mit sich und seinem Leben. Täglich erfreute es ihn aufs Neue. 
Eines Tages setzte sich ein Mann, gut gekleidet in einem teuer aussehenden Anzug zu ihm auf die Bank.
„Ich“ sagte er, „beobachte dich seit längerer Zeit. Jeden Tag sitzt du hier am Wasser und schaust in die Fluten. Warum tust du nichts?“ „Ich tue doch etwas, ich schaue dem Fluss zu, wie er fließt.“ „ Möchtest du dir nicht etwas dazu verdienen, dir ein kleines Boot kaufen und auf dem Fluss fahren?“ „Gerne!“ sagte der alte Mann, „aber leider habe ich keine Zeit, weil ich hier sitze und auf den Fluss schaue.“ Eine Weile war alles still, dann sagte der Alte „Dreh dich doch einmal um.
Was siehst du da?“
„Eine Reiterfigur auf einem Sockel.“ 
„Was noch?“ fragte er
.Der Mann schaute ihn an: „ Nichts weiter.“
Der Alte lächelte.
„Dann lass mich dir sagen, was ich sehe.Auf dem Sockel steht tatsächlich eine Reiterstatue, in Stein gehauen. Es ist in meinen Augen ein ganz armer Tropf, der sicher viel Geld, Einfluss und Macht, aber mit Sicherheit keine Zeit hatte, am Ufer zu sitzen und auf das Wasser zu schauen und auf die Wunder, die jeden Tag passieren. Darum haben sie ihn, als er gestorben war, aus dem Stein herausgehauen und auf diesen Sockel hier an den Fluss gestellt. Nur – jetzt hat er nichts mehr davon. Sag mir, wer von uns beiden ist jetzt besser dran?“
Langes Schweigen folgte, dann erhob sich der reich gekleidete Mann , sagte leise: „Danke!“ und ging.
Es vergingen Wochen, dann setzte sich wieder einmal jemand neben den Alten. Der erkannte ihn nicht .Schweigend, in sich gekehrt, saßen sie beide einfach da.
Dann fiel als erstes leises Wort, ein „Danke, alter Mann, dass du mir meine Augen öffnetest!“. Erst jetzt erkannte der Alte ihn.
„Ich,“ sprach der Hinzugekommene weiter, „ bin nun schon so alt geworden, aber meine Augen blieben lange blind. Immer jagte ich dem Gelde hinterher. Ich war mal ein großer Banker in einer hohen Position. Doch was hat´s mir eingebracht , außer immer noch mehr Geld? Worauf es wirklich ankommt, hatte ich niemals gelernt. Meine Arbeit habe ich jetzt aufgegeben, genug zu Leben habe ich auch und kann noch andere beglücken. Was brauchst du, alter Mann? Ich kann dir alles kaufen!“
„Lass nur!“ sagte darauf der Greis, „ich brauche nichts, das Leben hat mich reich beschenkt, weil ich am Fluss hier sitze und in das Wasser schauen darf. Willst du bei mir sitzen bleiben? Es ist, denk ich, für zwei hier Platz.“
Sie wurden beide Freunde, richtige Freunde die nunmehr auch Vielen halfen, die nicht immer auf der hellen Seite des Lebens standen,
sich aber bei ihnen einfanden.
Und sogar der steinerne Reiter schien zu lächeln,
traf ihn der Sonne sanftes Fächeln


f.j.16.09.2014 

Informationen zum Gedicht: Wie Steine lächeln lernen

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18.09.2014
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