Heiter bis bewölkt

Ein Gedicht von Christoph Hartlieb
…. Der Mensch als Mensch und Homo faber
beherrscht die Welt fast völlig, aber,
so sehr er um die Herrschaft ficht,
total beherrscht er sich noch nicht.
Im Gegenteil, eh er´s gedacht,
steht er am Ende seiner Macht,
ja schlimmer noch, er steht im Regen
und weiß noch nicht einmal, weswegen.
…. Als Beispiel dieses Tatbestands
nenn ich das Wetter dieses Lands.
Da kommt ein Keil vom Islandstief,
das vorher still und reglos schlief,
gerade dann, wenn´s keiner denkt,
vom Ozean herangeschwenkt
und schwängert die ansonsten leere,
blicktransparente Atmosphäre
mit dichten, dunklen Nebelfladen,
die sich dann irgendwo entladen.
…. Sogar der Wettersattelit,
sah nicht, was sich zusammenzieht,
so dass die Meteorologen
die Kundschaft und sich selbt betrogen.
Sie haben Gutes prophezeit
mit ihrer Wissenschaftlichkeit,
doch scheint, was die Propheten sungen,
nicht bis zum Himmel durchgedrungen.
….Auch fällt der Regen grade dann,
wenn man ihm nicht entgehen kann,
zum Beispiel, wenn man abends froh
nach Hause eilt aus dem Büro,
und wenn man still spazieren geht,
wo nichts, was einem Dach gleicht, steht.
…. Ein Mensch mit einem Regenschirm
fühlt sich in solchen Fällen firm,
sofern´s auch glückt, dem Sturmeswüten
mit seinem Schirm die Stirn zu bieten
und auch die mittleren Partien
den Regenschauern zu entziehn,
ganz abgesehen von den Schuhen,
worin des Menschen Füße ruhen.
Erst recht nicht hilft ihm dieses Ding,
wenn, als er aus dem Hause ging,
es schön war wie im Paradies,
weshalb er es im Ständer ließ.
…. Der Mensch wird durch den Umstand leicht
bis auf die Knochen durchgeweicht.
Soeben ziemlich wohlgemut
erzittert er vor Frost und Wut,
was einerseits und gar nicht selten
Gefahr erzeugt, sich zu erkälten,
wogegen andrerseits erschlafft
der Glauben an die Wissenschaft.
…. Zwar lernte er seit Kindesbeinen,
die Sonne kann nicht immer scheinen,
sonst wäre es, wie jeder weiß,
ringsum zu trocken und zu heiß,
doch fragt er bebend vor Verdruss,
warum es immer regnen muss,
wenn er sein warmes, trautes Nest
für einen Augenblick verlässt;
weshalb es, scheinbar aus Prinzip,
gießt, wenn der Schirm zu Hause blieb,
doch wenn er diesen bei sich trägt,
kein Tropfen Nass zu fallen pflegt.
…. Auch dann, wenn er im Zimmer sitzt,
vor Himmelsfeuchtigkeit geschützt,
fühlt er sich im Gemütszustand
von Wechselschauern übermannt.
Wenn Tag und Nacht die Wolkenfetzen
am Horizont vorüberhetzen
und überall die Tropfen spritzen,
kriecht Trübsal durch die Fensterritzen,
durch Schafwollunterzeug und Poren.
Er hüllt sich ein bis zu den Ohren,
zieht sich zurück in seine Tonne
und träumt verzweifelt von der Sonne,
die, wenn sie je auf Erden schien,
woanders scheint, doch nciht für ihn.
…. Die Wetterfrösche stört es nicht.
Mit sonnig-heiterem Gesicht
erscheinen sie und prophezein
durch nichts getrübten Sonnenschein.
…. Der Mensch, geplagt von Grau und Grauen,
wagt überhaupt nicht hinzuschauen,
weil er im Regen fast ertrinkt.
Sein Fortschrittsoptimismus sinkt.
Und fiel er nicht dem Wahn zur Beute,
dann friert und zittert er noch heute.
Silesio

Informationen zum Gedicht: Heiter bis bewölkt

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16.05.2023
Das Gedicht darf unter Angabe des Autoren (Christoph Hartlieb) für private Zwecke frei verwendet werden. Hier kommerzielle Anfrage stellen.
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