Die Brille

Ein Gedicht von Christoph Hartlieb
xxx…. Wer älter wird, merkt, dass die Augen
nicht mehr so gut wie früher taugen.
So ist er irgendwann gezwungen
infolge von Veränderungen
des inn´ren Aufbaus der Pupille,
sich zu bedienen einer Brille,
damit er fern und in der Nähe,
den Sachverhalt genauer sähe,
der, merkt er, irgendwie nicht stimmt,
weil das, was scharf sein soll, verschwimmt.
Dies Plastik- oder Blechgestell,
in dunklen Farben oder hell,
mit je zwei umklappbaren Griffen,
das Glas in Linsenform geschliffen,
kann die Erwartung in ihm wecken,
derart die Wahrheit zu entdecken,
die Wirklichkeit, so wie sie ist,
obwohl der Mensch dabei vergisst,
mit Hilfe sinnlicher Antennen
lässt Wirklichkeit sich nicht erkennen.
Und ist er darauf noch so wild,
er macht sich immer nur ein Bild.
Er sieht trotz aller Hilfen schief,
aus seiner Optik, subjektiv,
sich selbst, die andern und die Welt,
so wie´s ihm passt und ihm gefällt.
…. Doch ohne Brille geht es nicht.
Erst sie ermöglicht jene Sicht,
die ihm den Sinn des Seins erschließt,
zum Beispiel, wenn er Zeitung liest,
das Kleingedruckte in Kontrakten,
Rezeptverordnungen und Akten.
…. Bei einigen Gelegenheiten
lässt er die Brille gern entgleiten.
Sie würde jeden Spaß verpfuschen
beim Schlafen etwa und beim Duschen.
Dann braucht er diese Hilfe nicht.
Es reicht das innere Gesicht,
womit er vieles schon erspähte
auch ohne optische Geräte.
Silesio

Informationen zum Gedicht: Die Brille

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21.04.2023
Das Gedicht darf unter Angabe des Autoren (Christoph Hartlieb) für private Zwecke frei verwendet werden. Hier kommerzielle Anfrage stellen.
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